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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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euch daran, wenn ihr in euer Königreich gelangt, wenn ihr die hohen Mauern und Türme und die zahllosen Armeen von Rom seht und euch das Herzen gefriert.»
    Einer oder zwei der jüngeren Krieger lachten beim Klang dieser Worte nervös auf. Einer oder zwei bloß.
    «Aber das ist nicht das Schlimmste», sprach die alte Frau weiter, schwang dabei ihren Stock und setzte ihn wieder in den Staub. Sie hatte nicht vor, diesen Nomadenkönig ziehen zu lassen, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Sie verlangte, dass er ihr zuhörte. «Da ist noch der Tribut, den wir ihnen zahlen müssen, an jedem achten Tag. Wir müssen ein Tierkadaver entrichten, den wir erjagt haben, vom Gewicht her nicht weniger als ein Mann, sonst müssen wir von unseren eigenen Schafen oder Kühen ein Tier hergeben. Alle acht Tage.» Sie streckte die leere Handfläche aus. «Was bleibt da für uns übrig? Vier Kühe, ein paar furzende Ochsen, ein Haufen Ziegen, einige Schafe – und ja, auf ihnen drauf noch ein paar Schmeißfliegen. Wie sollen wir diesen Tribut weiter entrichten, ohne ihn am Ende mit unserem Leben bezahlen zu müssen? Der Winter naht. Schon jetzt sind unsre Kinder und Säuglinge krank vor Hunger. Aber diesen Leuten, den Budun-Boru, ist das egal. Sie sind Teufel – von Teufeln geborene Teufel.»
    Attila überlegte kurz. Dann gab er Befehl, zwei der Packpferde abzuladen, und verteilte
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sowie einige fette Stücke Schafsfleisch am Knochen und etwas Ziegenfleisch an die armen Dorfbewohner. Ausgemergelt standen sie da und sahen schweigend zu ihnen auf, die Augen so trocken wie Staub. Sie schienen zu flehen, aber nicht so recht zu wissen, worum.
    Er wies seine Männer an kehrtzumachen, und sie umrundeten die Nordseite des elenden Sees und ritten weiter.
    Während sie sich entfernten, sagte Chanat mit bitterer Stimme: «Sie müssen ihr Lager abbrechen und fortziehen.»
    «Die Welt ist groß», versetzte Attila. «Alle Stämme ziehen umher.»
    «Und die großen Stämme zertrampeln die kleinen, während sie vorwärtsreiten.»
    Attila nickte. «Sie werden auf die Verteidigungsposten des Reiches stoßen wie vor ihnen die Goten, und sie werden verhungern und dort in den ausgedehnten, zerlumpten Lagern an den Ufern der Donau verenden, das verheißene Land Europa auf der anderen Seite schon im Blick.»
    Ein letztes Mal wandten sie sich um. Im Auge eines rot aufwirbelnden Sandsturms, der von Südwesten heranzog, blickten die zerlumpten Dorfbewohner ihnen mit hoffnungsloser Sehnsucht hinterher, zu schwach, um aufzubrechen. An der Hand hielten sie die kleineren, dürren Hände ihrer Kinder, die an ihrer Seite standen und vor dem aufziehenden Sandsturm bei ihren Eltern Zuflucht suchten. Abgemagerte Kinder, bis auf die feine Staubschicht, die ihre Körper bedeckte, nackt. Die Sonne verdunkelte sich über ihnen, die Schatten wurden bereits länger. Sie würden über den Rand der Erde den Blicken entschwinden, als hätte es sie nie gegeben.
    «Die Welt ist, wie sie ist», sagte Attila. «Und man kann sie nicht ändern.»
    «Trotzdem   …», sagte Chanat.
    Attila riss an seinen Zügeln. Sogar Chagelghan schien zu zögern und in einem plötzlichen und für ein Pferd ungewöhnlichen Anflug von Reue bedauernd zurück in Richtung des Sandsturms zu blicken.
    «Wir sind nicht aufgebrochen, um für die Elenden derErde Kindermädchen zu spielen», knurrte Attila. «Das sind nicht unsere Leute.»
    «Aber wir könnten bei ihnen Zuflucht vor dem Sturm nehmen», entgegnete Chanat. «Und morgen vielleicht   …»
    «Chanat», seufzte Attila. Er neigte seinen Kopf so tief, dass sein Kinn auf seiner Brust zu liegen kam. «Dein königlicher Edelmut und deine Menschenfreundlichkeit verursachen mir Bauchschmerzen!»
    «Chanat ist nun mal so, wie er ist», erwiderte der alte Krieger freudig grinsend, «und man kann ihn nicht ändern.» Und schon wendete er sein Pferd ein weiteres Mal und ritt zurück in den aufziehenden Sturm.
    Kleiner Vogel trieb sich in der Nähe herum. «Meinem Herrn Witwenmacher wächst wohl ein Herz!», sang er mit seiner pfeifenden, kindlichen Stimme über dem anschwellenden Wind. «Aber gebt Acht, mein Herr, gebt Acht! Je größer und weicher dein Herz, desto leichter findet der Pfeil deiner Feinde sein Ziel.»
    Sie nahmen Zuflucht im Schutz der Dorfhütten, die Köpfe gesenkt und die Mäntel um ihre Gesichter gewickelt, um den scheuernden Sand nicht eindringen zu lassen. Attila, Chanat und Orestes wurden von der alten Frau zu sich geholt. Sie

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