Der schwarze Krieger
seinem Pferd einen Tritt und brach in einen plötzlichen, wilden Verfolgungsgalopp aus, dem Tod oder noch Schlimmerem spottend. Auf dem Kamm der Anhöhe brachte er es mit einem heftigen Ruck zum Stehen undhielt Ausschau. Die zwei Reiter waren über eine weiter entfernte Anhöhe verschwunden. Zu Füßen der Anhöhe hatten sich die Spuren des Lagers wie ein großer Ring in das abgetötete Gras gebrannt. Die Kutrigur-Hunnen waren fort.
Einige Meilen weiter begegneten sie neuen Schauplätzen des Schreckens. Ein verkümmerter Dornbusch lag in einer ausgetrockneten Rinne, einige letzte verdorrte Beeren tiefrot wie Ochsenblut. Menschliche Hände, von den Handgelenken abgetrennt, waren auf die langen schwarzen Dornen gespießt. Sie hielten an und konnten nur stumm darauf starren, unfähig, diese neue Grausamkeit zu begreifen. Schließlich näherte sich Attila dem Busch und untersuchte die Hände. Weiß wie Marmor, unwirklich, ein zerfetztes Band aus Blut und Haut um jedes Handgelenk; es waren kleine Hände. In der Nähe stand ein weiterer Dornbusch, der mit grauen und glänzenden Knäueln von Eingeweiden behangen war.
«Sie haben Angst vor uns», sagte Chanat, der versuchte, etwas Gutes darin zu sehen. «Sie versuchen uns abzuschrecken, als ob sie sich wünschten, nicht gegen uns kämpfen zu müssen.»
«Sie haben keine Angst vor uns», entgegnete Attila. «Sie stellen uns auf die Probe, um herauszufinden, ob wir Furcht vor ihnen haben.»
Er gab das Signal zum Weiterreiten. Die meisten ritten nun mit ihrem Bogen und einigen schussbereiten Pfeilen in der Faust. Bei der Jagd auf die Saiga hatten sie eine grimmige Freude und einen brennenden Stolz verspürt, diese Reise lebend zu überstehen, selbst in den unwirtlichsten Gegenden. Nun aber jagten sie Menschen, und wo der Mensch ist, gibt es auch das Licht des Guten und den Schatten des Bösen. Ihre Herzen waren erfüllt von Ernst, Feierlichkeit und Pflichtgefühl.
4.
Das Dorf
Die Nacht in der Wüste ist immer kalt, aber nun wurden auch die Tage kälter. Noch ein Mond würde wachsen und abnehmen, bevor die Tage am allerkürzesten waren und die Nächte lang und kalt. Nur Zauberer und Dämonen wären dann noch in der Dunkelheit willkommen.
Vor ihnen lag eine farblose Geröllwüste und dahinter sterbendes Grün an den Ufern eines stahlgrauen Sees. Vermutlich schneite es oben in den Bergen des Tien Shan und auf den Gipfeln der Tawan Bogd, der Fünf Könige. Hier jedoch war es nach kurzen Herbstregenfällen und gelegentlichen Hagelschauern trocken, trist und kalt.
Die Kutriguren ließen noch andere Zeichen für sie zurück: am Boden verteilte Federn, Büschel von Pferdehaar, das in Dornzweigen verfangen war, auf einem fahlgrauen Stein ein Spritzer Blut, so gespenstisch und unerklärlich wie eine unnatürliche Flechte. Ein frischerlegter Hirsch lag neben dem Pfad, teils schon zerlegt und dennoch mit frischem Fleisch auf den Schultern zurückgelassen, das ein wenig von den Schnäbeln der Vögel zerfleddert war, aber durchaus noch nahrhaft schien.
«Sieht doch gut aus», rief der junge Yesukai.
Attila schüttelte den Kopf. «Unsere Verwandten in den Schwarzen Mänteln lassen keine Geschenke für ihre Feinde zurück. Iss davon, und du wirst bald so tot sein wie dieser Hirsch.»
«Oh.» Yesukai nickte, und sie ritten weiter.
Sie ritten über öde Salzflächen und schreckten Wolkenvon kleinen, gescheckten Vögeln auf, die nach Krebsen pickten. Vereinzelt ragten starre graugrüne Disteln aus der verkrusteten Erde empor. In weiter Ferne sahen sie ein einzelnes rundes weißes Zelt, eine Nomaden-Jurte, die sich in der Steppe wie Griechisches Feuer vor dem dunklen Himmel abzeichnete. Und weiter, immer weiter ostwärts, zog es sie in das Ödland hinein, so wie es starke, nüchterne Männer in etwas Selbstzerstörerisches zieht. Sie hatten den Amudarja, den Oxus und den Syrdarja, den alten Jaxartes, schon lange durchquert, waren durch die sanften grünen Berge des Ulutau und vorbei am Tengizsee geritten. Sie hatten den schneeweißen Tien Shan im Süden aufragen sehen und ritten an den weiten, stillen Wassern des eisengrauen Blachaschsees vorbei, in dem Ungeheuer lebten. Als ihre Pferde in jenen morastigen Ebenen durch das lange, durchnässte Gras schnellten, scheuchten sie die Kiebitze gellend über das Marschland und schreckten die Blesshühner im Röhricht auf. Sie hörten den rauen Ruf des Reihers und sahen seinen flauschigen Kopf zwischen den buschigen Grashalmen. Die Sonne ging
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