Der schwarze Magier
im Skriptorium zuweisen zu lassen.« Er atmete tief durch. Nun war es heraus! Er blickte dem Abt fest in die Augen. Dieser hob mit leichtem Erstaunen die dünnen Augenbrauen.
»Bist du mit deiner Arbeit nicht zufrieden?«, wollte er wissen.
Rupert schüttelte den Kopf. »Ich möchte Lesen und Schreiben lernen.«
Der Abt lehnte sich zurück und betrachtete Rupert unter gesenkten Lidern. »Als du in dieses Kloster kamst, da lerntest du als erstes die wichtigsten Regeln, ohne die ein Zusammenleben nicht möglich ist: Demut, Keuschheit, Armut, Gehorsam, Schweigen. Daran erinnerst du dich doch, mein Sohn?«, fragte er mit weicher Stimme. Rupert nickte. »Gut. Der erste Grad der Demut ist der ausnahmslose Gehorsam. Er ist für jene, denen Christus das Teuerste ist, wegen des heiligen Dienstes, den sie gelobt haben, oder aus Furcht vor der Hölle oder wegen der Herrlichkeit des ewigen Lebens. Sie kennen kein Säumen, diese Arbeit auszuführen. Wenn etwas von Oberen angeordnet wird, dann ist es gerade, als wäre es ein Befehl Gottes. Und gegen den willst du dich stellen?«
»Nein, ehrwürdiger Vater, doch ich glaube, dass ich Gott im Skriptorium besser dienen kann als auf der Latrine oder in der Küche.«
»Der Wille Gottes lässt sich nicht vorhersagen und es wird die Zeit mit sich bringen, ob Gott will, dass du im Skriptorium deinen Platz findest. Er wird dich prüfen, mein Sohn. Vergiss nicht, Demut, Gehorsam, Keuschheit, Schweigen sind der Maßstab, an denen Gott dich messen wird.«
In Rupert brodelte es wie in einem kochenden Kessel. Mit unbewegtem Gesicht verließ er die Kanzlei des Abtes, verfolgt von den Blicken der beiden Kanzlisten. Es waren Bruder Hieronymus und Bruder Eusebius, die beide ebenfalls im Skriptorium tätig waren, daneben aber auch in der Verwaltung des Klosters. Ob sie ihm vielleicht… Aber den Gedanken verwarf er sofort. Bruder Hieronymus war dafür bekannt, dass er unbarmherzig Verfehlungen der Brüder, die ihm zu Ohren kamen, dem Abt meldete und die Bußen überwachte.
Die Sonne glitzerte im glasklaren Wasser des Baches, als Rupert mit Luke die ausgeworfenen Angeln einholte. Es war ein wunderschöner Sommertag, die Forellen bissen zu Ruperts Freude gut und sie hatten schon ein kleines Netz voll Fische. Die beiden Jungs hockten auf dem moosbewachsenen Ufer, Luke hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und blickte den Wolken am Himmel nach.
»Weißt du, Bruder Rupertus, manchmal denke ich, im Kloster ist es gar nicht so schlecht. Ich sollte Ritter werden wie meine Brüder. Aber weil ich ein schwaches Bein habe, war ich ihnen stets unterlegen. Ich wäre nur ein verachteter Knecht geworden. Zwei meiner drei Brüder starben im Kampf. Zwar sagen alle, es sei ruhmreich, im Kampf zu sterben, aber manchmal hänge ich doch am Leben.«
Rupert blickte ihn von der Seite an. Er hatte bereits bemerkt, dass Luke beim Laufen ein Bein nachzog. Er hatte nie danach gefragt.
»Und warum bist du ins Kloster gegangen? So frömmelnd scheinst du nicht zu sein.«
»Nein«, erwiderte Rupert gedehnt. »Aber ich wollte gern die Bücher studieren.«
Luke lachte auf. »Studieren kannst du hier genug, du musst nur Augen und Ohren aufhalten.«
»Was meinst du damit?«
Luke wurde einer Antwort enthoben, als sie den Gesang der Mönche vernahmen, die einer Prozession gleich den steinigen Weg am Hang entlangschritten. Der erste Mönch trug ein Kreuz voran, dahinter schritt würdevoll der Abt. Etwa zehn Mönche schlossen sich an.
»Wohin gehen sie?«, wollte Rupert wissen.
»Zu den Heiligen Jungfrauen. Das ist ein Nonnenkloster drüben auf der anderen Seite des Tales. Es gehört zur Abtei und der pius pater hat die Aufsicht.«
»Was beaufsichtigt er denn?«
»Die Arbeit der Nonnen und ihre Verwaltung. Sie spinnen und weben Stoffe, verrichten Näh- und Stickarbeiten, ich glaube, sie arbeiten auch auf den Feldern. Aber das ist nicht der Grund, warum es einmal im Monat diese Prozession gibt.« Luke grinste breit.
Rupert runzelte ärgerlich die Stirn. »Bruder Lukas, du ergehst dich in dunklen Andeutungen.«
Lukes Grinsen verbreiterte sich. »Du willst doch das klösterliche Leben studieren, oder? Willst du nicht sehen, was die Mönche dort treiben?«
»Was sollen sie denn treiben?«, fragte Rupert ahnungslos.
»Komm mit! Wir verstecken die gefangenen Fische unter den Steinen, bis wir zurückkommen.«
Sie liefen der seltsamen Prozession nach, stets darauf bedacht, einen genügend großen Abstand zu
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