Der Schwarze Mandarin
mit Orangensaft – das einzige, was beweist, wie konservativ du noch bist. Leider ist der Bar der Orangensaft ausgegangen.«
»Dann gieß mir ein, was du trinkst.«
»Whisky mit Eis. Pur. Ohne Wasser.«
Sie tranken einen Schluck und sahen sich wortlos an. Endlich sagte Dr. Freiburg: »Deine Dackelaugen halte ich nicht lange aus. Was ist nun wirklich mit dieser Liyun?«
»Sie ist in Gefahr.«
»Jagt ihr ein Mann nach?«
»Sie ist durch mich in Gefahr.«
»Wie kannst du sie noch in Gefahr bringen?«
»Eben darüber kann ich nicht sprechen. Ich will von dir nur hören: Ist es gerechtfertigt, aus Liebe zu einem Menschen sich selbstaufzugeben und zu einem Menschen zu werden, den man verachten muß?«
»Ich weiß es nicht, Hans. Ich bin nie in einer solchen Situation gewesen.«
»Könntest du dir denken, daß du aus Liebe zu einer Frau deine Praxis aufgibst und – nur als Beispiel – ein Arzt der Unterwelt wirst? Ein Mafia-Arzt?«
»Darüber gibt es genug Kino- und Fernsehfilme.«
»Ich frage dich, nicht einen Drehbuchschreiber.«
»Aus Liebe zu einer Frau – Mafia-Arzt? Meine Antwort: nein!«
»Du liebst diese Frau doch … und sie sagen zu dir: Entweder wirst du unser Arzt, oder wir schneiden deinem Mädchen eine Brust ab! – Was dann?«
»Wenn ich sie wirklich so abgöttisch liebe …? Dann würde ich zu ihnen sagen: ›Laßt das Mädchen in Ruhe. Warum ihre Brust? Schneidet mir lieber den Schwanz ab.‹«
»Das tun sie sowieso. Es geht um das Mädchen.«
»Du stellst da Fragen, die in die Gewaltkriminalität gehen und für mich nie in Frage kämen. Aber spielen wir dein Spielchen weiter: Es gibt für mich keinen Ausweg. Sie wollen sie verstümmeln …«
»Vielleicht sogar ihr Leben.«
»Dann würde ich sagen: Okay, Jungs. Ich verarzte euch! Aber warum die Drohung? Ich bin doch als Arzt sowieso zum Schweigen verpflichtet. Die Hauptsache ist, ihr bezahlt die Rechnungen.« Dr. Freiburg lachte. »Zufrieden?«
»Es war die falsche Parabel. Du bist als Arzt natürlich fein raus.«
»Aber du nicht, stimmt's? Nun spuck es aus: Wieso wird Liyun bedroht und von wem?«
»Das kann ich nicht sagen«, wiederholte Rathenow. »Eben wegen Liyun.«
»Man zwingt dich, etwas zu tun, was du nicht willst, aber tun mußt, weil sonst Liyun leidet.«
»So ist es.« Rathenow atmete auf. Das war eine mühsame Aufgabe gewesen. »Verstehst du jetzt meinen seelischen Zustand?«
»Ja und nein.«
»Wieso nein?«
»Ich weiß nicht, wer oder was dich zwingt, ich will es auch gar nicht mehr wissen, aber es gibt immer noch den Weg zur Polizei.«
»Unmöglich!«
»Die Polizei hat Diskretion gelernt und kann dir helfen.«
»Die Polizei ist völlig machtlos. Das habe ich in wenigen Lektionen gelernt. Es ist ganz allein meine Entscheidung – und ich habe mich entschieden. Es fällt mir nur unendlich schwer, mich daran zu gewöhnen. Das Grauenhafteste ist die Ausweglosigkeit.«
»Es gibt immer einen Ausweg. Aus ausbruchsicheren Gefängnissen sind Häftlinge entkommen, indem sie einen Tunnel gruben. Grab deinen Tunnel.«
»Ohne Liyun? Das geht nicht. Ich würde sie opfern, und genau das hindert mich an jeder Gegenwehr. Es gibt nur einen Kompromiß – ich hole sie so schnell wie möglich nach München.«
»Wenn sie kommt!«
»Sie wird kommen.«
»Bist du dir so sicher? So stur, wie du dich ihr gegenüber benommen hast … wenn ich dir glauben soll.«
»Liyun hat sich wirklich gefreut, als ich sie eingeladen habe.«
»Ach! Du hast sie schon eingeladen? Und sie hat ja gesagt? Und trotzdem hast du nicht mit ihr geschlafen?«
»Mir reicht es!« Rathenow schüttete den Rest Whisky auf den Tresen, weil er wußte, daß Freiburg sich darüber maßlos ärgern konnte, und verließ die Wohnhalle.
»Meine Bar laß in Ruhe!« schrie ihm Freiburg nach. »Wenn einer ersäuft werden sollte, dann bist du es!«
»Vielleicht tut dir bald jemand den Gefallen.« Rathenow knallte die Tür hinter sich zu. Ehe Freiburg ihm nachlaufen konnte, hatte er die Villa verlassen, warf sich in seinen Wagen und fuhr zurück nach Grünwald. Als er sein Haus betrat, rückte der Zeiger der alten Standuhr in der Diele gerade auf drei Uhr.
Rathenow hatte sich endgültig entschlossen, Bai Juan Fa zu sein. Was auch kommen mochte – er hatte die Fotos der Triaden gesehen, und niemand konnte ihn verurteilen, wenn er sich der Gewalt beugte, damit Liyun nicht auch verstümmelt und getötet wurde. Er allein war jetzt verantwortlich für Liyuns Leben.
*
Die
Weitere Kostenlose Bücher