Der Schwarze Mandarin
weiß, was sie bedeuten. Ein bißchen Intelligenz ist mir geblieben.«
»Die gelben Fähnchen sind die Lokale und Geschäfte, die sich durch Zahlungen an uns schützen. Die roten Fähnchen signalisieren Gefahr, denn hier gibt es Polizeistreifen. Warum gerade bei ihnen, das weiß ich nicht. Die grünen Fähnchen sind Neugründungen. Aisin Ninglin und du werden sie in der nächsten Zeit besuchen und sie in die Schutzgemeinschaft aufnehmen. Die großen blauen Fähnchen sind die Polizeireviere. Es ist wichtig zu wissen, wo sie liegen, damit du bei einer Flucht nicht genau in ihre Straße läufst. Außerdem – sieh dir die roten Fähnchen an – wollten einige unserer Landsleute schlau sein. Sie machten ihr Geschäft in unmittelbarer Nähe einer Polizeiwache auf. Sie wollten alle nicht zahlen. Die Polizei als Nachbar, das bedeutet Sicherheit, dachten sie. Ein grober Denkfehler. Auch die Polizei konnte nicht verhindern, daß ein Lokal brannte, eine Ehefrau auf der Toilette eines Supermarktes vergewaltigt und dann in den Unterleib gestochen wurde und ein Junge auf dem Weg zur Schule entführt, später aber wiedergefunden wurde – nur waren ihm beide Beine gebrochen. Seitdem zahlen diese Unklugen. Aber es bleibt immer noch ein Mißtrauen bei uns – deshalb Gefahr und die roten Fähnchen! Bai Juan Fa, du solltest in den nächsten Tagen diese Karte auswendig lernen. Sie muß in deinem Kopf und nicht in deiner Tasche sein! Außerdem wird dich Ninglin überall hinbringen und dich den Besitzern vorstellen.«
»Ich werde sie mir einprägen«, sagte Rathenow. Aber er nahm sich vor, bei Gelegenheit doch heimlich Fotos der Karte zu machen.
»Da ist noch etwas Persönliches.« Min Ju wurde sichtbar fröhlich. »Du mußt, um nicht aufzufallen, vor dem Kassieren in jedem Restaurant essen. Du bist ja ein harmloser deutscher Gast wie alle im Restaurant. Das Essen ist gratis, aber eine Diät ist es nicht gerade. Hast du Gewichtsprobleme?«
»Ja. Ich habe oft drei bis vier Kilo Übergewicht. In China habe ich allerdings fünf Kilo abgenommen – das ist eine Menge.«
»Die Strapazen, Bai Juan Fa. Und außerdem die Liebe! Liebe zehrt. Warum waren die Eunuchen immer so fett? Weil man ihre Eier in ein Glas mit Spiritus gelegt hat.«
»Jetzt erinnern Sie mich an einen Freund.«
»Abwarten. Vielleicht werden wir sogar Freunde! Zurück zum Essen: Ich schlage vor, du verzichtest auf das Mittagessen und ißt nur morgens und abends. Oder eine andere Lösung: Ich schicke eine ›Lien ho‹ zu dir, eine Lotosblüte, mit der du ›nung Yü‹ machen kannst, ›mit Jade spielen‹. Das wird dich nicht zunehmen lassen. Sieh mich nicht so wütend an, Bai Juan Fa! Auch ihr Deutschen habt ja dafür ein Sprichwort: Ein guter Hahn wird selten fett! Das sagt man auch bei uns – nur chinesischer, poetischer.«
»Ich brauche kein ›Hühnchen‹!« sagte Rathenow grob. »Ist Ihr Lehrplan darauf ausgerichtet?«
»Wenn du eine Grassandale der Gruppe Prostitution wärst, würdest du noch mehr erfahren. Aber du bist eine Grassandale der Beschützer.« Min winkte, sich zu setzen. Dafür stand jetzt Aisin Ninglin auf, der breit grinsend zugehört hatte. Auch Min zog sich einen Stuhl heran.
»Fangen wir mit den Grundkenntnissen an. Ninglin wird dir jetzt vormachen, wie man höflich, aber bestimmt mit den Lokalbesitzern verhandelt, wenn sie sich ein wenig bockig zeigen. Die meisten wollen die Gebühr drücken, aber darüber gibt es keine Diskussion. Wer sich dumm benimmt, muß für seine Dummheit mehr bezahlen. Ninglin, fang an.«
Aisin Ninglin straffte sich, zog sein schwarzes Jackett gerade und trat mit einem süß-säuerlichen Lächeln auf Rathenow zu.
»Mein lieber Freund und Landsmann«, sagte er schleimig. Er hatte eine widerlich hohe, gleichzeitig etwas heisere Stimme. »Ich habe kein Wasser unter den Füßen. Sei so gut, und schütte einen Eimer darüber.«
»Das bedeutet«, erklärte Min Ju, »daß er ein Bote ist, der Schutzgeld kassieren will. Kein Wasser unter den Füßen – das ist das Codewort, das jeder Wirt versteht. Weiter, Ninglin!«
»Ich habe das Geld bekommen, nachgezählt, für richtig befunden, aber gemerkt, daß der Schützling es nur widerwillig hergegeben hat. Ich verabschiede mich also mit höflichen Hinweisen: Mein Freund, nimm einen Rat an: Setz nicht den Luftstrom in Bewegung. Er schlägt aufs Ohr, und man müßte dir die Ohren putzen …«
»Nach einem solchen Abschied wird jeder kluge Geschäftsmann in sich gehen,
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