Der Schwarze Mandarin
Tage bis Mittwoch brachte Rathenow damit zu, daß er seine Reisenotizen ordnete, die Tonbänder abspielte, auf denen die Gesänge und die Ursprache der Minderheiten in Yunnan verewigt waren, und sich mit dem Kundendienst der Firma herumschlug, die ihm vor einem Jahr ein Faxgerät geliefert und installiert hatte, das – wie er festgestellt hatte – jetzt offenbar nicht funktionierte. Er wurde ausfällig, als eine Frauenstimme am Telefon fragte: »Haben Sie auch richtig programmiert?«
»Erstens hat Ihre Firma das Gerät programmiert, und zweitens habe ich es jetzt schon ein Jahr, und es funktionierte. Und plötzlich nichts! Es kommen nur leere Blätter an bei den Empfängern der Faxe.«
»Dann müssen Sie doch einen falschen Knopf gedrückt haben. Steht das Gerät vielleicht zu nahe an einer Heizung?«
»Wir haben jetzt August!« schrie Rathenow außer sich. »Da heize ich nicht!«
Er warf den Hörer auf die Gabel. Kurze Zeit später rief ein Techniker der Firma an und teilte ihm sehr höflich mit, daß er in drei Tagen vorbeikommen werde.
»Drei Tage? Morgen spätestens!« brüllte Rathenow.
»Wir haben bis Freitag keinen Termin frei. Moment, auch das geht ja nicht. Freitags macht die Werkstatt um 14 Uhr zu. Es geht also erst am nächsten Montag. Am Vormittag.«
»Sie sind spätestens am Donnerstagnachmittag hier, oder ich werfe das verdammte Fax durch Ihr Fenster.«
»Das ist Ihr Problem. Sie sind ja nicht der einzige, der ein Fax hat. Unsere Reparaturliste sollten Sie mal sehen …«
»Was die Qualität Ihres Fabrikates beweist!«
»Wir rufen Sie wieder an.«
Aufgelegt.
Es geht alles schief, redete sich Rathenow ein. Nichts ist mehr wie früher. Er wanderte ruhelos durch die Villa, konnte sich auf nichts mehr konzentrieren und hatte die Lust an allem verloren. In seinem Hirn war nur noch eine große Leere.
Am Mittwoch fuhr er rechtzeitig zum ›Schwarzen Mandarin‹ und aß dort zu Abend. Gebratenes Rindfleisch mit Bambussprossen, Glasnudeln und Austernpilzen. Der freundliche Kellner bediente ihn. Zum Abschluß bekam er wieder ein kleines Porzellanfläschchen mit heißem Pflaumenwein, aber als er bezahlen wollte, winkte der Kellner mit seinem unwiderstehlichen Lächeln ab.
»Es geht auf Rechnung von Herrn Min Ju.«
»Ich möchte selbst bezahlen.«
»Ich habe den Auftrag, von Ihnen kein Geld anzunehmen.«
»Dann werde ich ab heute jeden Abend auf Kosten von Herrn Min hier essen.«
»Darüber müssen Sie sich mit ihm einigen.«
Rathenow sah sich um. »Wo ist Herr Min Ju? Wir wollten uns um 22 Uhr treffen.«
»Er ist schon da. In den unteren Räumen. Darf ich Sie hinführen?«
»Bitte.«
Sie stiegen eine ziemlich steile Treppe hinunter in die Kellerräume und blieben vor einer Stahltür stehen, die an den Eingang eines Luftschutzkellers erinnerte. Schalldicht, dachte Rathenow und fühlte ein Kribbeln unter der Kopfhaut. Absolut schalldicht und nur mit Sprengstoff zu knacken. Der Einlaß zu einer Festung. Du stehst vor der Kommandozentrale des Daih-Loh von Bayern, des angesehenen Min Ju. Wenn das das Kommissariat für organisierte Kriminalität wüßte – es wäre ein Schlag, von dem sich die Tiraden von München so schnell nicht erholen würden. Wer konnte so etwas ahnen, auch nur den leisesten Verdacht schöpfen? ›Der Schwarze Mandarin‹ war ein anerkanntes Gourmet-Lokal, in dem Börsianer, Fabrikanten, Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten und andere vermögende Schlemmer sich verwöhnen ließen – auch der Polizeipräsident, wie Rathenow später erfuhr.
Der Kellner drückte auf einen Stein der unverputzten Kellerwand. Lautlos schwang die Stahltür auf – Rathenow stand in einem mit Öllampen und Kerzen erleuchteten, großen Raum, dessen Prunk ihn sprachlos machte.
Ein chinesischer Tempel unter der Erde von München. Der schönste Tempel, den Rathenow je gesehen hatte. Die Heiligtümer in Kunming, Dali, Lijiang und auch in Beijing, Shanghai, Guangzhou, Wuxi, Guilin oder Xian verblaßten gegen diesen Tempel wie kitschige Kopien. In der Mitte stand eine riesige vergoldete Götterfigur, die ihn streng anblickte. Vor ihr lagen Opfergaben – Blumen, Früchte, glimmende Räucherstäbchen mit betörendem Duft – und eine schon etwas vertrocknete, abgeschlagene Hand. Eine Menschenhand.
Durch eine Tür im Hintergrund kam Min Ju in den Tempel. Er trug wie oft einen schwarzen Anzug und nickte Rathenow freundlich zu.
»Du bist pünktlich, Bai Juan Fa«, sagte er. »Das gefällt mir. Noch mehr
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