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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Laß den Patienten reden … reden … reden … sich befreien von dem inneren Druck, sich selbst erlösen aus dem Zwang durch Worte und Gesten. Es gibt eine Therapie, bei der die Nervenärzte ihre Patienten in den Wald führen und zu ihnen sagen: »Nun schreien Sie! Los, schreien Sie! Rennen Sie herum und schreien, schreien. So laut Sie können! Es ist niemand hier, keiner hört Sie, Sie sind allein … Los, schreien Sie!« Und die Patienten beginnen zu schreien, brüllen sich von ihrer inneren Qual los, rennen im Wald herum, bis sie erschöpft an einem Baum lehnen und fühlen, daß sie leichter geworden sind, daß die innere Dunkelheit gewichen ist, daß Licht in ihre Seele einfließt und der Kopf klarer wird und realer denkt. Das ist der Augenblick, wo der Arzt sagt: »Und nun sprechen wir über Sie …« Und der seelisch nackte Kranke beginnt zu reden …
    Aber Dr. Freiburg war kein Psychiater. Doch irgendwie mußte er Rathenow zum Reden bringen, mußte der sich befreien von dem inneren Druck.
    »Los! Rede, Junge!« sagte Freiburg eindringlich zu Rathenow. »Was ist passiert?«
    »Ich kann nicht …«
    »Dann hau wieder ab und laß mich weiter schlafen.«
    »Du läßt mich allein?«
    »Zum Teufel – nein! Aber wie soll ich dir helfen, wenn du wie eine Glucke auf deinen Worten hockst? Ich kann dir doch nicht einfach die Händchen streicheln und sagen: Mein Kleiner, sei ganz ruhig! Mami ist doch bei dir. Ich muß schon wissen, was los ist. Man kann keine lockere Schraube anziehen, wenn man nicht weiß, wo die Schraube ist. Verstehst du?«
    »Ich verstehe alles – nur mich nicht mehr.«
    »Und wodurch ist die Schraube locker geworden?«
    »Bitte, frag mich nicht. Nimm einfach hin, daß ich fix und fertig bin.«
    »Ist hingenommen.« Dr. Freiburg schüttelte den Kopf und setzte sich wieder aufrecht auf den Schemel. »Ich verschreibe dir ein Mittel, das deinen Geist aufhellt. Es nimmt dir die Depressionen, du siehst die Welt wieder positiver.«
    »Und wenn ich am Tag eine ganze Packung schlucke – mit Psychopharmaka ist mir nicht geholfen.«
    »Steckt hinter deiner Lebensverdrossenheit ein Weib?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich kenne dich fast ein Vierteljahrhundert lang. Ich kenne dich vielleicht besser als du dich selbst. Du bist nicht der Typ des Psychopathen. Du bist genau das Gegenteil, du bist voller Lebensfreude. Und plötzlich klappst du zusammen. Das ist das Verwunderliche bei solchen Männern: Dahinter steht immer eine Frau. Ist es so?«
    »Liyun hat von allem keine Ahnung.«
    »Wer ist Liyun?«
    »Wang Liyun – meine Dolmetscherin.«
    »Verrückt, wie Frauen aus Männern Idioten machen können! Bist du denn total übergeschnappt? Eine Urlaubsbettgeschichte wirft dich aus der Bahn?«
    »Ich habe Liyun nicht angerührt.«
    »Auch das noch! Verklemmter Sex! Drückt das auf dein Gemüt? Vergiß sie.«
    »Nie! Ich liebe sie.«
    »Das legt sich.«
    »Was verstehst du davon? Es gibt für mich nur noch Liyun auf der Welt.«
    »Du bist ein schwerer Fall von sexueller Verirrung.«
    »Ich gehe.« Rathenow erhob sich von der Untersuchungsliege. »Ich dachte, ich könnte mit dir vernünftig reden. War ein Irrtum. Schlaf weiter.«
    »Halt!« Dr. Freiburg hielt Rathenow am Ärmel fest. »Du bleibst!«
    »Nein.«
    »Doch! In diesem Zustand lasse ich dich nicht fahren! Du bist eine Gefahr für deine Umwelt. Also gut – ich nehme es hin! Diese Frau ist deine große Liebe. Eine heimliche Liebe, so wie ich dich verstehe.«
    »Ja. Nur dir habe ich es so deutlich gesagt, gewissermaßen zugegeben.«
    »Welche Ehre! Und was weiter? Du hast sie nach eigener Aussage nicht gebumst.«
    »Bitte, gewöhne dir in Zusammenhang mit Liyun eine andere Ausdrucksweise an!«
    »Auch gut! Du hast also einen Säulenheiligen gespielt. Wenn diese Liyun dich auch liebt, hätte sie nichts dagegen gehabt, daß du …«
    »Sie ist in der alten Tradition erzogen worden. Für sie ist Moral noch ein Heiligtum.«
    »Aber sie ist die Frau all deiner Träume …«
    »Nein. Sie ist die Frau meines Lebens.«
    »Darauf muß ich einen trinken.« Dr. Freiburg sprang auf. »Komm mit zur Hausbar, du Spinner.«
    Wortlos folgte Rathenow seinem Freund in den saalähnlichen Wohnraum, in dessen rechter Ecke eine große Bar mit Tresen, Glasvitrinen, Gläsern und einem Heer von Flaschen eingebaut war. Dr. Freiburg ging hinter die Theke, Rathenow klemmte sich auf einen der Barstühle.
    »Was soll's sein, Herr Heiliger?« fragte Freiburg.
    »Das übliche.«
    »Wodka

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