Der Schwarze Mandarin
wartet PP – ein Bandenkrieg reduziert die Mitglieder. Aber er irrt sich. Wir haben genug Nachwuchs. Es kommen tausende Chinesen illegal nach Europa, auch nach München. Wir haben eine Kontaktstelle eingerichtet, speziell für Illegale, um die wir uns wie um Verwandte kümmern und ihnen Stellen vermitteln. Hier finden wir genug Leute, die jede Lücke wieder auffüllen.«
»Ich nehme an, bei den Russen ist es nicht anders.«
»Stimmt. Sie sickern über Polen, Ungarn und die Tschechei ein. Die neue deutsche Ostgrenze ist durchlöchert wie ein guter Schweizer Käse.« Min Ju zeigte wieder auf das blaue Fähnchen, das 13. Kommissariat. »Sieh dir das an: Allein in der Umgebung von PP haben sich fünf chinesische Restaurants niedergelassen. Umsatzmäßig gehören sie zur Oberklasse. Bei ihnen als Grassandale aufzutreten, ist fast eine Mutprobe. Aber sie zahlen, bis auf einen. Hier!« Min zeigte auf eine rote Fahne. »Herr Zhou Yongyi, Besitzer des Lokals ›Zum Gelben Aal‹, weigert sich, weiter unter unserem Schurz zu leben. Dabei ist ›Gelber Aal‹ eine Beleidigung. Ihr Europäer denkt, Gelb ist die Farbe der Kaiser, ein Symbol für Macht und Ruhm. Huang-di, der ›Gelbe Kaiser‹, der erste der berühmten fünf Kaiser am Hoangho, dem Gelben Fluß, hat Gelb zur Ehrenfarbe erhoben. Aber heute ist alles anders. ›Zum Gelben Aal‹ ist kein besonders ehrenvoller Name, denn ›Gelbe Aale‹ nennen wir die Homosexuellen. Zhou Yongyi ist ein bekannter Schwuler in der Münchener Szene. Ich werde Ninglin zu ihm schicken, wenn du dich eingearbeitet hast.«
»Und was wird er dann mit Zhou tun?« fragte Rathenow. Das Grauen kroch wieder in ihm hoch. »Ihm die ›Ohren abschneiden‹?«
»Noch nicht.« Min blickte Rathenow zufrieden an. »Du lernst schnell, Bai Juan Fa. Nein. Zunächst wird Ninglin ihm den Schwanz abschneiden. Das trifft Zhou mehr als der Tod. Und dann wird er fleißig zahlen.« Er lachte kurz auf. »Wir sind doch keine Unmenschen.«
Mins grausamer Humor ließ Rathenow plötzlich frieren. Was geht in einem solchen Menschen vor? dachte er. Ein Gewissen kann er nicht haben, Hemmungen sind ihm fremd, Moral ist ein Wort, das in seiner Sprache nicht vorkommt, ein Menschenleben auszulöschen, ist wie das Ausknipsen eines Lichtschalters. Und dennoch ist er stolz, ein Triade zu sein. Wie alle anderen. Sie haben Frauen und Kinder, sind liebende Ehemänner und treusorgende Väter, spenden für Erdbebenopfer in Mexiko und sitzen im schwarzen Anzug in der Oper und begeistern sich an ›Lohengrin‹, besuchen die Salzburger Festspiele und sind überall beliebt wegen ihrer Höflichkeit. Sie tanzen auf Bällen, kennen die Schickeria von München, spielen Golf am Tegernsee und erholen sich auf Barbados – alles Ehrenmänner, denen man gern die Hand drückt, denn keiner sieht ja, daß Blut an ihnen klebt. Sogar Minister plaudern gern mit ihnen und reden von einer neuen Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland auf dem Gebiet der Wirtschaft und Kultur. Doch das ist genau das Gegenteil dessen, was diese ehrenwerten Herren im Sinn haben. Die Volksrepublik China ist ihnen verhaßt, der Kommunismus in ihren Augen der größte Irrtum der Menschheitsgeschichte, die für einen Chinesen am Hoangho beginnt, am Gelben Fluß, und bei den beiden Urkulturen der Yang-shao und der Lung-shan. Mit Maos Sieg gab es für sie ›ihr‹ China nicht mehr, und Mao und alle seine Nachfolger waren und sind für sie ›Pi-hus‹, Geckos, einer der fünf ›Wu-Tu‹, Gifttiere also. Doch die ehrenwerten Herren lächeln und lächeln und küssen die Hände der Diplomatenfrauen, obgleich das für einen Chinesen eine Erniedrigung ist, denn eine Frau ist ein untergeordnetes Wesen. Aber man dient ja einer großen Aufgabe. Man arbeitet im geheimen, und die Bruderschaft wächst und wächst und wird einmal die ganze Welt umspannen.
Rathenow blinzelte, um diese Vision zu verjagen. Min Ju schaute ihn kritisch an.
»Woran denkst du, Bai Juan Fa?« fragte er.
»An mein Grassandalen-Leben …«
»Hast du Angst?«
»Nein. Ich bin traurig.«
»Worüber?«
»Ich habe Dr. Hans Rathenow zu Grabe getragen. Mir ist doch erlaubt zu trauern?«
»Das ist falsch. Du bleibst Dr. Rathenow – Grassandale zu sein ist nur ein Nebenjob.«
»Eine Ehrensache!« Rathenow holte tief Luft, er hatte das Gefühl zu ersticken. »Dazu noch unbezahlt.«
»Du kannst jeden Abend umsonst essen. Rechne aus, was du dabei sparst. In Geld umgerechnet ist das ein schönes Gehalt.
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