Der Schwarze Mandarin
sich nur um eine Kleinigkeit handeln. Das haben wir gleich …«
Die ›Kleinigkeit‹ dauerte zwei Stunden. Der Monteur nahm das Fax-Gerät auseinander, putzte und schraubte, programmierte es neu nach der Liste, die Rathenow ihm gab, und schickte dann ein Probe-Fax an seine Firma. Es kam an – kein leeres Papier mehr.
»Das hätten wir«, sagte der Monteur glücklich.
»Und woran lag es?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe es auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, jetzt geht es!«
Nachdem der Monteur gegangen war, ging Rathenow in sein Arbeitszimmer zurück. Elf Uhr vormittags – dann ist es in Kunming jetzt fünf Uhr nachmittags. Sechs Stunden später. Wenn Liyun heute nicht mit einer neuen Gruppe unterwegs war, saß sie vielleicht im Büro der CITS. Er nahm die Visitenkarte Liyuns, die er immer bei sich trug, mit den Telefonnummern und dem Fax – jeder Reiseleiter von CITS bekam solche Visitenkarten gedruckt. Dann setzte er sich an die Schreibmaschine und schrieb auf einem privaten Briefbogen. Noch einmal überlas er den Text und legte das Blatt dann in das Fax-Gerät. Er tippte die Zahlen ein, startete und sah im Display die Mitteilung: Nummer wird gewählt. Dann wurde das Papier eingezogen – das Fax für Kunming flog über Satellit nach China.
Es lautete:
München, den 18. August 1991
Bitte das Fax sofort weitergeben an Frau Wang Liyun in Ihrem Hause.
Liebe, kleine Liyun,
Sie werden sich gewundert haben, daß Sie bis jetzt noch kein Fax bekommen haben, und Sie werden gedacht haben: Ja, so ist es! Versprechen tun sie viel – aber dann vergessen sie alles. Das stimmt aber nicht. Liyun, mein Fax-Gerät war kaputt, und erst heute kam ein Monteur. Das erste Fax nach der Reparatur ist dieses Fax an Sie.
Ich werde nun alles vorbereiten für die Einladung und die Anträge, damit Sie schnell hierherkommen können. Ich werde mit der Einladung auch genug Material schicken, damit man in Beijing sieht, zu wem Sie fahren. In Beijing kennt man ja meinen Namen, und auch in der deutschen Botschaft.
Hier, in München, habe ich erst die Batik genau ansehen kön nen, die Sie mir zum Abschied im Goldenen Tempel geschenkt haben. Ich weiß jetzt, was Sie damit sagen wollten. Ich werde die Batik aufhängen, sie immer wieder ansehen und dabei an Sie denken.
Danke, kleine Liyun – wir sehen uns wieder!
Wenn Sie mir sofort antworten können, meine Fax-Nummer steht ja oben auf dem Briefbogen.
Ich warte auf ein Zeichen von Ihnen und umarme Sie in Gedanken.
Hans
Als der Sendebericht ausgedruckt war – alles okay –, nahm Rathenow den Brief aus der Ablage und schloß ihn in seine Schreibtischschublade ein.
»Ich liebe dich«, sagte er leise. »Bitte, lieb mich auch …«
Aber gleichzeitig fragte er sich: Ist es vernünftig, Liyun nach Deutschland zu holen? In meiner Situation? Ist das nicht unverantwortlich? Bin ich nicht ein grausamer Egoist?
Er fragte sich das immer wieder. Ich brauche sie, tröstete er sich schließlich. Liyun, du hast mich verändert. Ich fühle mich zwanzig Jahre jünger und stärker und mutiger, und das muß ich auch sein, um das Leben als Grassandale der Triaden zu überstehen. Und hier kann ich dich besser schützen.
Liyun, gib mir die Kraft dazu.
*
In dieser Nacht, der Nacht von Freitag auf Samstag, wurde der chinesische Restaurantbesitzer Zhong Yushan in einer Grasmulde auf dem Olympia-Parkgelände mißhandelt und getötet. Am Morgen fand ihn ein Gärtner, der Papier und Blätter zusammenfegte. Der Tote sah so entsetzlich aus, daß sich der Gärtner übergeben mußte.
Wenig später traf mit drei Wagen die Mordkommission ein. Polizei sperrte das Gelände ab. Der Transporter mit dem Zinksarg wartete etwas entfernt vom Tatort, um keine Spuren zu verwischen. Aber es gab keine Spuren. Das Gras war durch die lange Hitze trocken geworden – nicht einmal ein Elefant hätte einen Fußabdruck hinterlassen.
Der Fotograf der Mordkommission nahm den Toten gerade von allen Seiten auf, als ein weiterer Wagen außerhalb der Absperrung hielt. Aus ihm stiegen drei Männer, der Hitze wegen nur im Hemd. Der Leiter der Mordkommission, Kriminaloberrat Lutz Benicke, kam den dreien entgegen.
»Ich hielt es für richtig, dich auch zu verständigen, Peter«, sagte er und gab Peter Probst die Hand. »Wie ich dir am Telefon sagte: Der Tote ist ein Chinese. Das fällt auch in dein Interessengebiet.«
»Weiß man den Namen des Toten?«
»Nein. Keinerlei Papiere.«
Sie gingen zu dem Ermordeten. PP
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