Der Schwarze Mandarin
befinde er sich in heftigen Krämpfen.
»Ihr Gott verspricht Ihnen den Himmel, die ewige Seligkeit.« Kewei hob grüßend die rechte Hand. »Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt in die Ewigkeit, Mr. Evans.«
Sha Zhenxing handelte ohne Zögern. Er setzte die Pistole in Evans' Nacken und drückte ab. Der peitschende Knall verlor sich in den Felsen.
Evans fiel mit dem Gesicht auf den Boden, zuckte noch einmal, aber das war nur ein Reflex seiner Nerven und Muskeln. Seinen Tod spürte er nur als heißen Schlag im Nacken.
Sha steckte die Pistole wieder in die Tasche und blickte zufrieden zu Kewei hinüber. Er wartete auf ein Lob. Und wirklich sagte Kewei Tuo:
»Ein guter Schuß, Zhenxing. Du bist ein braver, treuer, williger Bruder. Aber auch ein gefährlicher Zeuge. Sha, Buddha, der Erleuchtete, wird dich in die Arme schließen.«
Plötzlich hatte auch Kewei eine Pistole in der Hand. Er zog sie blitzschnell aus der Rocktasche und schoß, bevor Sha überhaupt reagieren konnte. Er traf Sha genau ins Herz. Sha fiel gegen eine Steinsäule und krümmte sich … aber schon, als er die Erde berührte, war er tot.
Kewei Tuo schob die dünne Unterlippe vor. Es war ein Gesetz der Triaden, daß der ›Statthalter‹ nie selbst tötete … er ließ töten. Aber heute hatte Kewei keine andere Wahl. Es durfte keinen Zeugen geben … vor allem nicht Zhenxing, von dem man sagte, er sei ein schwatzhafter Mensch.
Im Strom einer großen Reisegruppe aus Taiwan, die von einem Reiseleiter des CITS geführt wurde, verließ Kewei den Steinwald und fuhr in dem schwarzen Santana zurück nach Kunming. Vorher aß er noch an einem Stand einen heißen Pfannkuchen und trank dazu ein Glas Limonade.
Er war mit sich zufrieden.
Timothy Evans blieb vermißt.
Das Hotel zeigte sein Verschwinden an, das Reisebüro geriet in Aufruhr, aus Birmingham wurde Ethel, Evans' Frau, eingeflogen, die Polizei verhörte alle, die mit Evans zusammengekommen waren, auch den Genossen Minister in Peking. Man erfuhr nur von dem Portier des Hotels ›Goldener Drache‹, daß Mr. Evans das Hotel gegen acht Uhr früh in Begleitung zweier Herren verlassen hatte.
Zwei Herren! Waren es Mörder gewesen? Wo sollte man eine Leiche suchen?
Herr Ding Zhitong, der Kommissar, den man ebenfalls verhörte, sprach es ganz deutlich aus, allerdings hinter verschlossenen Türen und schon gar nicht vor Ethel Evans:
»Er hat uns einen Wink gegeben. Er sollte ein Paket Heroin nach Hongkong bringen. Das hat er uns verraten … und das war sein Tod! Wir sind sicher, daß die Triaden Rache genommen haben …«
Die Triaden.
Ein Wort, das man voller Ehrfurcht, aber dennoch zähneknirschend aussprach.
Ein Wort, das es eigentlich nicht geben durfte …
Gärtner, die sechs Wochen später im gesperrten Teil des Steinwalds Unkraut jäteten, fanden auf einem kleinen Felsenplatz zwei Leichen. Sie waren nicht mehr zu identifizieren. Wilde Hunde, Ameisen, Frettchen und Geier hatten die Körper zerrissen und aufgefressen – zuerst die Gesichter, dann die Eingeweide.
Einer der Gärtner übergab sich bei diesem schrecklichen Anblick. Die Leichen wurden einen Tag darauf im Krematorium von Kunming verbrannt. Niemand dachte an Evans – es waren ja zwei Tote.
Timothy Evans blieb verschollen – – –
Erster Teil
Die Senator Lounge der L UFTHANSA im Flughafen von Hongkong ist ein langgestreckter, etwas schmaler Raum, der schwer zu finden ist. So war auch Hans Rathenow fast zwanzig Minuten umhergeirrt, bis er die Tür der Lounge fand und die ihm genannte Kennzahl in eine Tastatur neben dem Eingang drückte.
Nun saß er in einem tiefen Sessel, trank Orangensaft, gemischt mit ein wenig Wodka, und knabberte an Keksen, die auf der Selbstbedienungstheke lagen. Bis zum Weiterflug nach Kunming hatte er noch über eine Stunde Aufenthalt. Er blätterte in einer deutschen Illustrierten, die er am Flughafen Frankfurt gekauft hatte. Während des Nachtfluges nach Hongkong hatte er nicht darin gelesen. Zuerst hatte ihn der Film auf der Bordleinwand interessiert – es war ein Mafia-Krimi aus den USA –, dann hatte er eine halbe Flasche Burgunder getrunken, und schließlich hatte er den Sitz weit nach hinten geklappt und war eingeschlafen.
Es war seine dritte Reise in die Volksrepublik China. Seine erste Begegnung hatte noch unter dem Eindruck einer starren kommunistischen Diktatur gestanden. Mao hatte noch gelebt, Tschu En-lai die Regierungsgeschäfte besorgt, die Chinesen waren in den blauen Mao-Anzügen
Weitere Kostenlose Bücher