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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und Ballonmützen herumgelaufen. Die ›Blauen Ameisen‹, wie sie der Westen nannte, hatten das eintönige Bild in Stadt und Land beherrscht. Damals war es schwer gewesen, überhaupt nach China hineinzukommen. Tourismus lehnte Mao ab; riesige Gebiete waren für Ausländer überhaupt gesperrt; Ausnahmen – wie ausgewählte Fernsehteams – wurden von politischen Kommissaren begleitet und bewacht. Es gab nur wenige Zeitungen. Die meisten Mitteilungen wurden auf riesige Plakate gedruckt, die man ›Wandzeitungen‹ nannte und die an jeder großen Mauer klebten. China war ein weithin abgeschirmtes Riesenland, ein Land, von dem die westliche Welt nur sehr wenig wußte. Ab und zu sah man im Fernsehen Bilder von prunkvollen Aufmärschen und Massenversammlungen, ein Meer von roten Fahnen und Bildern von Mao, dem ›Gott‹ eines Landes, in dem sich eine der ältesten Hochkulturen aller Völker entwickelt hatte. Mit völligem Erstaunen sah man im Westen, wie Millionen Chinesen begeistert ein kleines rotes Buch in den Händen schwenkten, die ›Mao-Bibel‹, nach deren Weisheitssprüchen und politischen Ermahnungen eine Milliarde Menschen lebten.
    Es war ein beschwerlicher Weg durch die gefürchtete chinesische Bürokratie gewesen, ein Visum für dieses Land zu bekommen. Hans Rathenow war es nach einem Vierteljahr warten und dem Einreichen vieler Fragebogen gelungen, diese Besuchserlaubnis zu bekommen, aber das war schon alles. Ansonsten war ihm jeder Schritt in China vorgeschrieben, und ein Abweichen von der staatlich diktierten Reiseroute wurde als Versuch der Spionage bestraft. Und ohne einen Reisebegleiter der kommunistischen Partei lief überhaupt nichts.
    Immerhin konnte Rathenow damals die Vorzeigestädte Peking, Shanghai, Kanton und Guilin besuchen, aber das, was er eigentlich gewollt hatte – die chinesischen Minderheiten, Völker, die im Laufe der Jahrhunderte von China aufgesogen worden waren, kennenzulernen –, blieb unerfüllbar. Das Ur-China war Sperrgebiet für jeden Ausländer.
    Die zweite Reise unternahm Rathenow kurz nach Maos Tod. Schon damals war er erstaunt gewesen über die rasante Entwicklung ins Moderne. Nur noch wenige trugen die Anzüge der ›Blauen Ameisen‹, die Kinder liefen schon in bunten Kleidern herum, die Frauen – Rathenow kannte sie nur in Hosen und einfarbigen dunklen Jacken – wagten es, wenn auch noch zögernd, farbige Röcke und Blusen zu tragen und zeigten – wie Modeschöpfer es nennen – Bein. Auch die Haare waren nun individuell frisiert, es gab nicht mehr nur eine Einheitsfrisur. Am auffälligsten aber war, daß die Frauen jetzt sogar Lippenstift, Puder und Make-up benützten. Man holte nach, was unter Mao verboten war. Selbst das Wagnis, in einem Bikini am Strand zu liegen, scheute die ›Neue Fraulichkeit‹ nicht, obwohl es damals noch Verhaftungen wegen unmoralischen Benehmens gab und die Partei gegen den Verfall der Sitten wetterte. So war etwa das Küssen in der Öffentlichkeit ein Verbrechen, das sofort bestraft wurde. Gefühle gehören ins Haus, nicht auf die Straße. Noch war Mao, der von Gott Auserwählte, der die Erde verlassen hatte, der große Vorsitzende, der China vom Kapitalismus befreit und einen Bauern-und-Arbeiter-Staat geschaffen hatte. Und dennoch: Das Leben war anders geworden, das spürte Rathenow sofort, als er in Peking landete. Es war, als könnten die Menschen endlich richtig durchatmen und sich auf ihre eigene Persönlichkeit besinnen.
    Bei dieser zweiten Reise waren schon viele bisher gesperrte Gebiete freigegeben worden. Der Tourismus begann sich zu entwickeln. Auch Rathenow konnte nun die Jangtse-Schluchten besuchen, die alte Kaiserstadt Xian und Nanchang mit seinem riesigen Seengebiet, aber zu den Minderheiten in Yunnan, zu den Bai, Dong, Miao, Naxi und Yi kam er nicht. »Bald«, sagte der Dolmetscher, der ihn begleitete, und hob die Schultern. »Bald … Es ist noch viel zu tun in China. Wir müssen erst aufräumen …«
    Nun – bei seiner dritten Reise in das ›Land der Mitte‹ – war alles anders geworden. Es gab keine Schwierigkeiten mehr mit dem Visum, fast ganz China war ›offen‹ für westliche Besucher, die strenge Abgrenzung zur übrigen Welt war aufgehoben. Außer den großen Staatsbetrieben wurde die Wirtschaft immer mehr privatisiert. Firmen, Geschäfte, Läden, Supermärkte, Im- und Exporthäuser waren häufig schon in Privatbesitz übergegangen, allerdings, und das würde sich wohl nie ändern, unter der Kontrolle und den

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