Der Schwarze Mandarin
registrierten Taxifahrer – nichts. Sie verhörten dekadente Studentenführer der Universitäten – nichts. In einer Großaktion untersuchte man alle Besitzer von Autos, auch die Chauffeure von CITS, unter ihnen auch Wen Ying, der aber ein wasserdichtes Alibi hatte. Auch Kewei Tuo, Shen Jiafu und Fu Huang, den Chef des Reisebüros, verhörte man. »Alle sind verdächtig«, hatte der Parteisekretär als Parole ausgegeben. Alle, ohne Rücksicht auf Rang und Namen. Jeder Autobesitzer kann es sein und jeder, der einen Führerschein besitzt. Ding Zhitong, der Polizeichef von Kunming, kam in drei Tagen nur zu vier Stunden Schlaf und war hinterher verzweifelt, melden zu müssen: Keine Erfolge.
»Wir jagen ein Phantom!« sagte der Parteisekretär am Abend des dritten Tages zu Professor Wang Biao. »Es gibt diesen Kerl – aber kann ich 3,5 Millionen Kunminger verhören? Und alle lügen sie, alle! Selbst mein eigener Chauffeur könnte es sein – wer weiß das? Wir sind umgeben von Schuften! Alle Verhöre, auch die strengen, haben nichts gebracht. Aber das haben wir oft erlebt: Der Zufall wird uns eines Tages helfen.«
»Ich habe einen anderen, bösen Gedanken«, sagte Professor Wang.
»Welchen? Sprich dich aus!«
»Es gibt, außer der Studentenbewegung, eine Organisation, die uns schaden will: die Triaden.«
Der Parteisekretär winkte ab. »Den Gedanken hatte ich auch schon. Aber – in Kunming gibt es keine Niederlassung einer Triade.«
»Weißt du das so genau?«
»Ja. Meine Spitzel hätten es längst erfahren. Kunming ist sauber. Diese Verbrecher sitzen in Hongkong und Taipeh. Mag sein, daß sie Beobachter in Beijing, Shanghai, Guangzhou und in Shenzhen haben, aber nicht in Kunming! Sie würden meinen Informanten nicht entgehen! Darauf bin ich stolz.«
Hätte Kewei Tuo diese Rede gehört, hätte er einen Lachkrampf bekommen, den er nur mit zwei Mao Tai hätte besiegen können. Aber er hörte es nicht – und so schickte er nach den Razzien den Taxifahrer zu seinem Nachbarn in das ferne Changde mit dem Hinweis, der gefällige Bruder wisse zuviel. So kam es, daß eines Tages im Seengebiet von Dongtin Hu eine Wasserleiche angeschwemmt wurde, die keiner kannte. Auch vermißt wurde niemand. Die Triaden verfügen über sichere Methoden, keine Spuren zu hinterlassen.
Wang Liyun wurde von ihrem Chef für einen Monat von längeren Auswärtsführungen befreit und betreute in dieser Zeit nur noch Gäste, die Kunming besichtigen wollten, unter ihnen auch die österreichische Gruppe, die sie in einem Fax an Rathenow erwähnt hatte.
Sie dachte oft an ihn, und wenn sie faxte: ›Ich warte … warte … ‹ dann meinte sie es ehrlich. Aber lange hatte sie mit der Unterschrift gezögert. Schließlich schrieb sie doch ›Ihre kleine Liyun‹, weil Rathenow sie in seinem Fax angesprochen hatte mit ›Liebe, kleine Liyun‹. Sie hatte das Papier dann Nacht für Nacht mit in ihr Bett genommen, es geküßt und sich in seine Arme geträumt. Wenn sie eine Gruppe durch Kunming führte, steckte das Fax immer in ihrer Umhängetasche. Sie kannte es auswendig, Wort für Wort … ›Kleine Liyun, wir sehen uns wieder … ‹ Und dann dachte sie, während die Gruppe die Kunstschätze in den Tempeln bewunderte: Ich komme, ich komme, ich komme. Ich muß kommen – ich spüre dich, als wäre ich schon bei dir …
Professor Wang beschäftigte sich mit anderen Gedanken. Immer wieder sprach er mit seiner Tochter über diesen unerklärlichen Vorfall.
»Überlege, Liyun«, sagte er eindringlich, »überlege ganz scharf: War an diesem Dr. Rathenow etwas Besonderes? Kannst du dich an besondere Bemerkungen erinnern?«
»Nein. Er hat nichts Auffälliges gesagt.«
»Aber jemand muß doch ein Interesse daran gehabt haben, daß du nicht am Flughafen warst, als er abflog. Denn das scheint mir der einzige Grund deiner Entführung zu sein: Du solltest ihn nicht mehr sehen! Aber warum? Was verbirgt sich da vor uns? Tochter«, er sah Liyun scharf an, »war etwas zwischen ihm und dir?«
Liyun wurde nicht rot, sondern nur trotzig. »Was soll das heißen, Papa? Du kennst mich doch!«
»Man weiß von einem Menschen nur wenig – selbst von der eigenen Tochter.«
»Ich schwöre dir – er war ein Gentleman! Außerdem ist er älter als du!«
»Auch im Alter gibt es nicht nur Weise, sondern auch Toren.«
»Hat er versucht, dich zu küssen?« fragte Liyuns Mutter.
»Nein! Nie! Und was hätte das mit meiner Entführung zu tun?«
»Es ist alles so voller
Weitere Kostenlose Bücher