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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nebentisch?
    Rathenow begann zu üben. Immer die gleiche Übung und immer wieder: Du machst es falsch. Der kleine Finger ist nicht krumm genug, der Daumen steht nicht hoch genug, die Glieder des Mittelfingers sind nicht beweglich genug. Deine Hände sind zu steif, nicht biegsam genug. Sie können zwar ein Tennisracket halten und einen Golfschläger schwingen, aber die Finger so zu verbiegen, daß daraus ein Triadenzeichen wird, dazu sind sie nicht geschaffen.
    Er erinnerte sich an einen Urlaub an der Nordsee, auf der Insel Norderney. Da sah er am Strand einen Asiaten – ob Chinese oder Japaner, das konnte er damals noch nicht unterscheiden – seine Körperübungen machen: Eine halbe Stunde lang, auf der Stelle stehend, immer wieder andere Verrenkungen, ein Spiel der Muskeln und ein Anblick, als habe dieser Körper keine Knochen, sondern nur Gummibänder, als könne er sich verknoten wie eine Schlange oder sich um ein Drittel wachsen lassen. Als er mit seinen Übungen fertig war und dann noch auf und ab hüpfte – Rathenow hatte es aufgegeben, mitzuzählen –, zeigte sich auf seinem bräunlichen Körper nicht der geringste Schweißtropfen. Dann rannte er am Meeresstrand entlang, hin und her, ab und zu die Arme hoch in die Luft werfend und den Lauf mit großen Sprüngen unterbrechend, und auch dann, als er den Lauf beendet hatte, war seine Haut ohne den geringsten schwitzigen Glanz.
    Damals hatte Rathenow nur sprachlos gestaunt. Nachdem er zum erstenmal durch den asiatischen Raum gereist war, hatte er das Geheimnis begriffen: Es war die Selbstbezwingung durch den eigenen Willen, der innere Befehl an den Körper, die totale Versenkung in die innere Kraft – es ist bis heute das Geheimnis der Shaolin-Mönche geblieben, deren unbegreifliche Stärke sich im Kung-Fu manifestiert. Für einen Kung-Fu-Kämpfer der Shaolin gibt es keine Schwerkraft mehr.
    Rathenow stellte seine Fingerübungen ein. Min Ju muß zufriedensein mit dem, was ich ihm vorführe. Aber ich muß ihn davon überzeugen, daß es kein passiver Widerstand ist, sondern wirkliches Unvermögen.
    Morgen um 22 Uhr im ›Schwarzen Mandarin‹. Aisin Ninglin wird mich wieder spöttisch ansehen und denken: Er wird nie ein Cho Hai, eine Grassandale werden. Aber genauso sicher, wie er Ninglins Gedanken erriet, war etwas anderes: Wenn er einen Fehler machte beim Einsatz – man würde Liyun dafür bestrafen. Rathenow fror plötzlich, trotz der sommerlichen Temperaturen.
    *
    In Kunming waren Polizei und Partei noch immer ratlos.
    Professor Wang Biao hatte die Entführung seiner Tochter Liyun durch den unbekannten Taxifahrer sofort der Polizei gemeldet und war in Begleitung seiner Tochter zu seinem Schulfreund, dem Parteisekretär von Yunnan und damit dem Obersten der ganzen Provinz, gegangen. Liyun zeigte die Hautabschürfungen und blauen Flecken auf ihrem Körper, erzählte genau den Hergang der Entführung und die Schande, die man damit über sie und die CITS, ja über ganz China gebracht hatte, denn Dr. Rathenow war ein VIP und ein mit Sonderrechten ausgestatteter Gast des Kulturministeriums gewesen.
    Der Parteisekretär hörte mit versteinertem Gesicht zu. Was Liyun erzählte, war wirklich peinlich. In seiner Provinz geschahen solche haarsträubenden Dinge? Wenn der Vorfall bis Beijing drang, würde das Ministerium eine Erklärung von ihm verlangen, und jeder ungeklärte Vorfall minderte sein Ansehen bei der Regierung.
    »Es ist eine Schande!« sagte er, als Liyun ihren Bericht beendet hatte. »Wir werden alles daransetzen, das aufzuklären. Und wir werden diesen Kerl und seine Auftraggeber mit aller Härte bestrafen. Denn eines ist klar: Der Taxifahrer war nur der ausführende Halunke – dahinter steckt weit mehr.«
    »Aber was?« fragte Wang Biao. »Wer hat ein Interesse daran, daß meine Tochter sich nicht von einem Gast verabschiedet? So etwas hat es noch nie gegeben.«
    »Es ist ein Anschlag auf unseren Ruf!« Der Parteisekretär spielte mit einem Brieföffner aus Jade, der auf seinem Schreibtisch lag. »Für mich ist das klar. Man beleidigt einen VIP, um den Ruf Yunnans als Gastgeberland zu schädigen. Das ist das Werk der jungen Intellektuellen, der Demokratiebewegung, der Abweichler von unserem Kurs. Es sind die, die China dem Westen ausliefern wollen! Aber nicht bei mir in Yunnan! Wang Biao, ich verspreche dir: Ich werde jetzt unerbittlich ermitteln lassen!«
    Aber die Polizei, die Geheimpolizei und die Spitzel stießen ins Leere. Sie verhörten alle

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