Der Schwarze Mandarin
einen wichtigen Geschäftsfreund und blinzelte ihm zu, als er sich am Tisch ihm gegenüber niederließ.
»Heute kein Unterricht!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Du gehst heute mit Ninglin auf Besuch. Wie fühlst du dich, Bai Juan Fa?«
»Ich kann nicht klagen. Ich habe fleißig Handzeichen geübt. Soll ich Ihnen einige vorfuhren?«
»Nicht jetzt und nicht hier. Wir sind zwei harmlose Gäste von Zou Shukong.« Min Ju lächelte breit. Sein rundes Gesicht glänzte. »In einer Stunde werdet ihr das Lokal ›Lotos‹ besuchen und mit dem Wirt sprechen. Dabei wird dir Ninglin zeigen, wie wichtig unser Schutz für unsere Landsleute ist. Ich habe übrigens dem Gao Lao in Hongkong eine Nachricht über dich zukommen lassen. Er wird sehr zufrieden sein. Ah, da kommt die Vorspeise. Marinierter Fisch in Currysoße mit Bohnensprößlingen. Ich sage es immer wieder: Shukong ist ein Künstler am Herd!«
Sie aßen stumm, sahen sich ab und zu schweigend an, und Rathenow ahnte Böses. Min Ju war zu gut gelaunt, und die Aussicht, mit Aisin Ninglin auf einen Besuch zu gehen, klang zwar harmlos, war es aber bestimmt nicht. Was hatte Min mit ihm vor? Welche Teufelei steckte hinter seiner Freundlichkeit?
Doch der Fisch war vorzüglich. Mancher 3-Sterne-Koch könnte bei Zou Shukong noch in die Lehre gehen, dachte Rathenow.
Sie waren beim Nachtisch, der obligaten Suppe, als auch Ninglin an den Tisch kam. Er trug einen vorzüglich sitzenden schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine diskrete schwarz-gold gestreifte Krawatte und gab, wie üblich, Rathenow nicht die Hand zur Begrüßung. Er aß nichts, sondern rauchte statt dessen eine Zigarette.
»Mein Wagen parkt im Hof!« sagte er auf deutsch, aber er sah dabei nicht Rathenow, sondern Min Ju an.
Min sah auf seine brillantenbesetzte goldene Uhr. »Ihr könnt in fünfzehn Minuten fahren. Bis ihr beim ›Lotos‹ seid, ist das Lokal zu. Kennst du das ›Lotos‹, Bai Juan Fa?«
»Nein.«
»Es liegt in Harlaching. Feine Gegend. Da schlafen die Leute auf ihren Kontoauszügen! Und das ›Lotos‹ ist eine Goldgrube. Es hat vor drei Monaten einen neuen Pächter bekommen. Ist herübergekommen aus der Schweiz. Er nennt sich Yan Xiang. Ob das sein richtiger Name ist, weiß keiner. In seinem Paß steht jedenfalls Yan Xiang.«
»Aber das hat nicht viel zu bedeuten«, sagte Rathenow.
»Du hast gut gelernt. Einen Paß zu bekommen ist leichter, als eine Forelle an Land zu ziehen. Als Yan ist er im Computer eingespeichert. Hat er irgendwie Mist gebaut und wird gesucht, dreht er den Namen einfach um und nennt sich Xiang Yan. Kein Computer der Welt wird ihn dann finden – so einfach ist das. Du kennst doch als Deutscher das Märchen vom Hasen und dem Igel? Genauso benimmt sich die Polizei. Wir sind immer vor ihr da! So, jetzt könnt ihr fahren.« Min Ju erhob sich. »Viel Erfolg. Und wenn noch Gäste im Lokal sein sollten – wartet, bis Yan geschlossen hat.«
»Ist er verheiratet?« fragte Ninglin mit gleichgültiger Stimme.
»Ja.«
»Eine Chinesin?«
»Nein, eine Schweizerin.«
»Das gefällt mir nicht.« Ninglin wölbte die Unterlippe vor. »Sie wird uns nicht verstehen.«
»Darum schicke ich dich hin. Überzeuge sie!«
Ninglin nickte, dann sagte er: »Kann ich nicht allein zu Yan fahren? Bai Juan Fa würde mich nur stören.«
Jetzt sprachen sie Chinesisch, und es war gut, daß Rathenow sie nicht verstand.
»Er muß lernen, was seine Aufgabe sein wird, Ninglin. Er muß sich an unsere Methoden gewöhnen.«
»Das wird er nie, Daih-Loh. Aber sehen wir mal, wie er sich nachher benimmt.«
»Er wird alles ertragen, wenn er an Liyun denkt. Und nun – fahrt!«
Ninglin und Rathenow verließen das Lokal und stiegen im Hof in Aisins kleinen Wagen.
Auf der Fahrt nach Harlaching sprach Ninglin kein Wort; Rathenow hatte es auch nicht erwartet. Aber als Ninglin dann vor dem Eingang des ›Lotos‹ anhielt – ein prachtvoller Eingang mit großen Bronzelampen –, brach er sein Schweigen.
»Sehr vornehm …«, sagte er so, als spräche er zu sich selbst. »Ein reicher Mann! Und so dumm …«
»Wie? Zahlt er nicht?« fragte Rathenow. Eine entsetzliche Ahnung stieg ihn ihm auf. Nur das nicht, durchfuhr es ihn. Nicht Zeuge einer Bestrafung sein! Das kann auch Min Ju nicht von mir verlangen. Das ist einfach grauenhaft! Ich lasse mich nicht zum Mitschuldigen machen! Geld einkassieren, na gut, das kann ich noch ertragen, aber mit allem anderen will ich nichts zu haben. Er dachte wieder an die
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