Der Schwarze Mandarin
Höschen ausgezogen hat. Wir haben keine Spur, keine brauchbare Aussage, und die Yans mauern. Wie immer. Nur eine Spur – wenn sie eine ist – könnte interessant sein: Kellner Jing Xing muß das Lokal kurz nach 23 Uhr geschlossen haben. Nehmen wir an, die beiden vornehmen Herren waren die Täter: Was hat Jing Xing bis morgens um halb drei mit ihnen getan? Um diese Zeit wurde er ermordet – wenn wir den Zeitangaben von Yan Xiang und seiner Frau glauben, aber das wird die Gerichtsmedizin noch klären können. Was ist da gesprochen worden?«
»Und wenn der Mord und die Blendung von Herrn Yan viel früher geschahen?« warf ein junger Kripobeamter ein. »Kurz danach, als Jing Xing das Lokal schließen wollte.«
»Ein guter Gedanke.« Peter Probst machte sich eine Notiz. »Das werde ich mit den Yans klären und mit der Gerichtsmedizin. Ist es so gewesen, dann hat Yan bis halb drei gewartet, bis er seine Frau gerufen hat – und die hat bis halb sieben gewartet, bis sie die Polizei rief. Das ist ein dicker Hund! Dann hätte Yan dreieinhalb Stunden in seinem Büro gelegen, bis er einen Pieps von sich gab! So lange dauert keine Ohnmacht! Aber dann wären die beiden seriösen Herren die Täter!« PP wischte sich über die Augen. Trotz Klimaanlage schwitzte er jetzt. »Doch – was soll ein Deutscher dabei? Nie, nie würde ein Triade mit einem Nichtchinesen oder Nichtasiaten zusammenarbeiten! Das ist völlig unmöglich und widerspricht den Grundsätzen ihrer Mentalität! Das hat es noch nie gegeben und wird es auch nie geben! Kein Weißer hat jemals Einblick in die Geheimnisse der Triaden bekommen. Diese Mauer ist unzerstörbar wie die Große Mauer in China! Ein Triadenmord unter Mithilfe eines Weißen? Undenkbar!«
»Und wenn sich die Triaden umstellen?« Der junge Beamte ließ nicht locker. »Wenn sie sich modernisieren? Unauffällige Hilfskräfte engagieren?«
»Das grenzt fast an Selbstmord. Franz, das kannst du vergessen. Eher werde ich ein Bierhasser! Bei der italienischen Mafia ist das auch unmöglich. Die einzige Organisation, die auch Fremde beschäftigt, ist die russische Mafia. Und mit der werden wir auch in München noch allerhand zu tun haben.«
Der junge Beamte schwieg, und niemand ahnte, wie nahe sie der Wahrheit gekommen waren, als sie sie als vermeintlich absurd wegschoben.
Am Abend besuchte Peter Probst noch einmal Yan Xiang im Harlachinger Krankenhaus. Ein Polizist hielt vor dem Krankenzimmer Wache.
Yan war nicht allein. Seine Frau saß an seinem Bett. Sie ergriff sofort die Hand ihres Mannes, als PP eintrat. Probst grinste verständnisvoll. Das eheliche Morsesystem: Was darf ich sagen? Was muß ich verschweigen? Ein Händedruck regelte das.
»Der Täter hat Sie kurz nach 23 Uhr geblendet!« sagte PP ohne Einleitung. »Wir wissen das jetzt. Und Jing Xing ist auch um 23 Uhr ermordet worden.«
Schweigen. Yan Xiang lag ruhig in den Kissen. Jetzt waren seine Augen verbunden.
»Gäste haben die Mörder gesehen!«
Schweigen. Und dann geschah das Unbegreifbare: Yans Mund verzog sich zu einem Lächeln, als habe Probst etwas Erfreuliches erzählt.
»Sie bluffen, Herr Kommissar!« sagte er dann.
»Wir haben die Beweise. Die Aussagen der beiden letzten Gäste, die Jing Xing noch lebend sahen. Es waren ein Chinese und ein Deutscher. Der Deutsche hinkte stark.«
»Sie glauben, ich sei den Triaden zum Opfer gefallen?« fragte Yan belustigt.
»Ja. Da bin ich mir sicher.«
»Was soll dann ein Deutscher dabei? Ich denke, Sie sind der große Fachmann für organisierte Verbrechen?«
So ist es, dachte PP grimmig. Er hat ja recht! Kein Triade arbeitet mit einem Nichtasiaten zusammen. Ich habe es immer gesagt. Und dann noch mit einem, der stark hinkt. Junge, du blamierst dich. Schwamm drüber. Vergiß es!
Er fuhr vom Krankenhaus nach Hause, machte einen Umweg zu einem Biergarten und trank eine angenehm kühlende Maß. Ihm war klar, daß ein neuer ungeklärter Fall für immer in den Akten ruhen würde.
*
Es war die schrecklichste Nacht, die Rathenow je erlebt hatte.
Nachdem er in Grünwald angekommen war, riß er sich die Kleider vom Leib, stürzte unter die Dusche, seifte sich ein und ließ das Wasser auf sich herunterprasseln. Ihm kam es so vor, als sei sein Körper voll Blut, als stinke es faulig aus seinen Poren, als habe sich Leichengeruch in seine Haut gefressen.
Aber auch die Dusche nutzte wenig. Er war Zeuge eines Mordes gewesen, er hatte miterlebt, wie einem Menschen beide Augen ausgestochen
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