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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mark Trinkgeld – was sie noch nie erlebt hatten – und zog sich dann aus. Dann stieg er in einen Schlafanzug, um Schwester Irene nicht zu provozieren.
    Der Alkoholverband wirkte noch immer, aber er hatte das Gefühl, als seien alle Zehen des linken Fußes taub und gefühllos geworden. Er stand noch einmal auf, holte sich die neuen Illustrierten und ein Buch, das er besonders gern las und immer wieder lesen konnte: ›Der stille Don‹ von Scholochow.
    Knapp eine Stunde später hörte er die Haustür zuschlagen und Schritte auf der Treppe. Schwester Irene! Dr. Freiburg hatte ihr den Hausschlüssel gegeben, der am Schlüsselbund des Autoschlüssels hing. Eine ziemlich tiefe Stimme, die so gar nicht zu dem Zauberwesen paßte, das Freiburg beschrieben hatte, rief:
    »Wo sind Sie, Dr. Rathenow?«
    »Hier oben. Dritte Tür links. Schwester Irene?«
    »Ja!« Das Wort klang wie ein Schuß.
    Eine energische Person, dachte Rathenow.
    Die nur angelehnte Schlafzimmertür flog auf, als habe man ihr einen Tritt gegeben. Und dann kam Schwester Irene herein. Rathenow hielt unwillkürlich den Atem an.
    Auf sein Bett zu wälzte sich ein Fleischberg von gut und gern zwei Zentnern. Beine wie Säulen, Arme wie Mortadella-Würste, Brüste wie reife Kürbisse, das Gesicht wie eine Melone, aber lustige, blaue Augen und ein lachender Mund. Die Haare lagen versteckt unter einer weißen Haube. Und ihre tiefe Dragonerstimme …
    »Dr. Freiburg schickt mich zu Ihnen!« röhrte sie. »Sie sind ganz allein! Ich soll mich um Sie kümmern.«
    »Das ist zu nett von Ihnen!« sagte Rathenow höflich. Dem ersten Schrecken folgte Fröhlichkeit. Das zahle ich ihm heim, dachte Rathenow und sah zu, wie Schwester Irene einen Sanitätskoffer auspackte. Freiburg, das bekommst du auf andere Weise von mir zurück! »Sie bleiben eine Woche?«
    »Solange es nötig ist.« Schwester Irene drehte sich zu ihm um. »Die Stunde dreißig Mark netto. Am Tag also – bei acht Stunden – 240 Mark. Ersetzt keine Krankenkasse. Aber das macht Ihnen ja nichts aus. Mit Ihren Büchern verdienen Sie genug.« Sie kam zum Bett und schlug das Laken zurück. »Haben Sie sich gewaschen?«
    »Natürlich.«
    »So natürlich ist das nicht bei den Männern. Frauen sind da sauberer! Bitte Hose runter.«
    »Ich soll …«, stotterte Rathenow verlegen.
    »Ich muß Ihren Oberschenkel und Ihre Hüfte einreiben, sagt der Doktor. Das geht nicht, wenn Sie die Hose anbehalten. Mein Gott, zieren Sie sich doch nicht. Ich habe in meinem Leben Tausende nackter Unterleiber gesehen.«
    Rathenow streifte seine Hose hinunter bis zum Knöchel. »Wie alt sind Sie, Schwester Irene?« fragte er dabei.
    »Dreiundsechzig. Auf die Seite drehen! Jei, ist das ein blauer Fleck. Und der wird noch wachsen und sich verteilen! Wie haben Sie den denn hingekriegt?«
    »Ich bin von zwei jungen Burschen überfallen worden. Gestern nacht.«
    »Jaja, heute ist es lebensgefährlich, nachts durch die Straßen zu gehen. Ich tu's nicht mehr. Früher, da konnte man nachts allein durch einen Park gehen. Heute tun das nur Selbstmörder. Soweit sind wir in Deutschland gekommen! Und warum? Weil bei uns die Verbrecher gestreichelt werden. Der Überfallene ist schuld. Zu dem sagt man: Ja, warum gehen Sie auch nachts im Park spazieren? Noch nicht mal im Bett ist man sicher, wenn man das Fenster offenläßt. Aber ich mach' es jetzt auch zu. Ich denke mir: Lieber erstinken als ermordet werden. Und dann die vielen Vergewaltigungen …«
    Sie sprach unentwegt, während sie Rathenows Oberschenkel und die Hüfte mit der Heparinsalbe einschmierte, aber Rathenow hörte nicht mehr hin. Er spürte pochende Schmerzen, und Schwester Irenes Hände waren nicht gerade die zärtlichsten. Erst, als sie fertig war, öffnete Rathenow wieder die Augen.
    »Fertig?« fragte er.
    »Ja. Jetzt kommt das Schienbein dran. Was soll ich Ihnen zu Mittag kochen? Was essen Sie gern?«
    »Ich habe gar keinen Hunger, Schwester.«
    »Der kommt noch. Ich lasse Sie nachher eine Stunde allein und kaufe für Sie ein. Das gilt auch als bezahlte Arbeit.«
    »Ich nehme es ohne Diskussion zur Kenntnis.«
    Nach dem neuen kalten Alkoholwickel um das Schienbein, von dem Schwester Irene behauptete, das sehe aus wie ein Tritt mit einem Nagelschuh, eine Gummisohle könne das nie und nimmer gewesen sein, ließ sie Rathenow allein. »Solange ich bei Ihnen bin, sollen Sie mal richtig essen!« sagte sie. »Die Junggesellen machen die Wirte reich und ihren Magen kaputt.«
    Rathenow

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