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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wurden, und er hatte zugesehen und nichts getan, er hatte nur einen lahmen Versuch gewagt, Ninglin zurückzureißen, und hatte dafür einen Tritt in den Oberschenkel bekommen, der ihn, zusammen mit dem geschwollenen Schienbein, völlig kampfunfähig machte.
    Er würde dieses Bild nie vergessen, das wußte er. Im Lokal der mit einem einzigen Handkantenschlag getötete Kellner, der aus dem aufgeschlitzten Arm blutende, stumme Yan Xiang, dem Ninglin das Messer in die Augen stieß, die dann wie glitschige Murmeln über die Tischplatte rollten, und die Gelassenheit, mit der Ninglin dann das Messer abwischte und unter sein schwarzes Jackett steckte. Das alles war so unfaßbar, daß Rathenow sich fragte, ob er nicht irrtümlich in einen Horrorfilm geraten war. Vor allem Yan Xiang schien kein realer Mensch zu sein. Wie kann ein Mann sich beide Augen ausstechen lassen, ohne einen Laut von sich zu geben? Ohne sich zu wehren, um sich zu treten oder zu röcheln, auch wenn ihm die Kehle zugequetscht wird?
    Gegen Morgen stand er auf, setzte sich an seine Schreibmaschine und schilderte die gräßliche Stunde in allen Details. Wenn ihm selbst etwas geschah, sollte man das lesen. Er nannte auch Namen: Min Ju und Aisin Ninglin, das Lokal ›Der Schwarze Mandarin‹, und schilderte den Tempel unter der Erde, seine Ausbildung im Schulungsraum der Triaden, die aus Hongkong kommende wahnwitzige Idee, Europäer durch Drohungen und Manipulationen zu Cho Hais – Boten – zu erziehen und damit die Polizei zu täuschen. Er schrieb alles nieder, was er bisher erlebt hatte, auch seine Angst um Liyun, die ihn zum willenlosen Werkzeug der Triaden werden ließ.
    Als er fertig war, schloß er die Blätter in seinen Tresor ein, humpelte zu seinem Wagen und fuhr zu Dr. Freiburg.
    Freiburg saß noch beim Morgenkaffee, als seine Haushälterin ihm den Besuch von Dr. Rathenow meldete. Um diese Zeit? Freiburg ahnte nichts Gutes und lief hinaus in die Diele. Dort lehnte Rathenow an der Wand. Er sah gräßlich aus. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht. In diesem Augenblick sah er aus wie ein Greis, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Freiburg starrte ihn entgeistert an.
    »Hans! Was ist los?« fragte er. »Wo kommst du her? Hast du nicht geschlafen? Und in einem schwarzen Anzug! Hast du die ganze Nacht rumgesumpft? Du zitterst ja.«
    »Ich komme zu dir, weil du Arzt bist«, sagte Rathenow mit hohler Stimme. »Du mußt mich behandeln.«
    »Komm mit.« Dr. Freiburg zeigte auf die Tür, die zu seiner Praxis führte.
    »Ich kann kaum laufen …«
    »Mein Gott! Was ist passiert?«
    »Ich … ich bin überfallen worden.«
    »Überfallen? Wieso?« Er sah, wie Rathenow mühsam zwei Schritte ging und dann ächzend stehenblieb. Seine Füße schienen ihn kaum noch zu tragen.
    Dr. Freiburg sprang zu ihm, stützte ihn und schleifte ihn so in die Praxis. Dort legte er Rathenow auf die Untersuchungsliege, drückte ihn in die Rückenlage und setzte sich auf die Kante. Rathenow atmete schwer. Die paar Schritte hatten ihn völlig fertiggemacht. Wieso auf einmal? dachte er erschrocken. Die Nacht über, an der Schreibmaschine, habe ich nicht viel gespürt. Auch während der Autofahrt nicht – aber jetzt? Freiburg legte die Hand auf seine Stirn – kein Fieber. Er fühlte den Puls – beschleunigt, wie nach einem schnellen Lauf. Als er Rathenow das Hemd aufknöpfen wollte, um das Herz abzuhören, schüttelte der den Kopf.
    »Da ist alles in Ordnung!« sagte er schwach. »Zieh mir die Hose aus.«
    Dr. Freiburg zögerte. »Die Hose?« fragte er dann. »Du machst mich neugierig.«
    »Die Beine!« schrie Rathenow mit letzter Kraft. »Linkes Schienbein, rechter Oberschenkel!«
    Freiburg knöpfte die Hose auf und zog sie Rathenow über die Beine. Und dann sah er es: Der Oberschenkel war schwarzblau verfärbt, das Schienbein dick angeschwollen und sah aus wie eine gequetschte Gurke – genau so grün und deformiert.
    Dr. Freiburg vergaß seine Sprüche – was er sah, waren echte Verletzungen. Als er leicht auf das Schienbein drückte, knirschte Rathenow mit den Zähnen.
    »Hans, zum Teufel, was ist passiert? Wo hast du die Verletzungen her? Unter ein Auto gekommen? Die Treppe runtergestürzt?«
    »Ich sagte dir doch: Ich bin überfallen worden. Zwei junge, kräftige Burschen haben mich auf die Straße geworfen, haben auf mich eingeschlagen, mich getreten und dann beraubt.« Rathenow log überzeugend – er hatte sich vorher alles genau überlegt. »Ich habe mich nicht

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