Der Schwarze Mandarin
einem schwarzen Anzug. Auch das noch, dachte Rathenow. Ich komme von dem teuflischen Schwarz nicht los!
»Es gibt wirklich noch Gespenster!« rief Freiburg und zog Rathenow ins Haus. »Wo warst du? Ich hätte morgen die Polizei gerufen und dich als vermißt gemeldet. Keine Nachricht von dir, viermal habe ich angerufen … nichts. Dreimal war ich an deiner Haustür und habe wie ein Irrer geklingelt. Nichts rührte sich! Wo warst du?«
»Zu Hause.«
»Und spielst den Toten? Bist du verrückt?«
»Ich bereite ein neues Buch über China vor.«
»Das kennen wir von dir! Da ist der Wahnsinn fast greifbar. Aber wie du dich in den letzten neun Tagen benommen hast – das ist unverantwortlich deinen Freunden gegenüber. Das machst du nicht noch einmal!«
»Ich brauchte Ruhe. Ich brauchte Freiheit …«
»Indem du dich versteckst! Hans, du bist ein pathologischer Fall!«
»Entdeckst du das erst jetzt? Du bist ein mieser Arzt.«
»Bisher waren diese Symptome nicht klar erkennbar. Aber jetzt wird es bei dir gefährlich.«
Rathenow setzte sich in den barocken Salon und wartete, bis Freiburg ihm ein großes Glas Wodka mit Pflaume brachte.
»Was willst du also hier, Mimöschen? Ein bißchen weinen, wie einsam du bist? Oder willst du ein Nervenpülverchen haben? Wie ist es mit der Verdauung? Ich jage dir mit Freuden ein Klistier in den Arsch. Mensch, mach den Mund auf. Spuck deine Probleme aus.«
»Ich wollte dich nur sehen, weiter nichts.«
»Dann sieh mich an. Ich will zum Sommerball des Golf-Clubs. Ich habe eine neue junge Golferin aufgerissen, Tochter eines sogenannten Star-Architekten. Hat sich dumm und dusselig verdient, als Bauerwartungsland wirklich Bauland wurde und er es hintenherum rechtzeitig erfuhr. Das Mädel ist 24 Jahre alt. Blond, Brüste wie kleine Zuckermelonen, Beinchen wie ein Rehkitz. Und da soll ich deine dunklen Gesänge anhören? Bei aller Freundschaft …«
»Ich habe bis jetzt nichts wieder von Liyun gehört«, sagte Rathenow.
»Dann ruf sie an.«
»Das habe ich. Viermal! Ich komme bis Kunming – dann ertönt das Besetztzeichen.«
»Nicht aufgeben, alter Junge!« Freiburg wartete, bis Rathenow den Wodka getrunken hatte. »Übrigens, ich habe unseren Golf-Club und den Tennis-Club darauf vorbereitet, daß du jetzt blond bist.«
»Und wie haben sie es aufgenommen?«
»Wie man einen Verrückten belächelt, der jünger sein will, als er ist.«
»Sie können mich alle …«
»Sie werden sich nicht den Appetit verderben. Aber da ist noch was! Vor vier Tagen war ein Chinese bei mir. Ein Herr Min Ju. Sagte, er käme auf deine Empfehlung.«
»Das stimmt.«
»Pfuschst du mir ins Handwerk? Seit wann erkennst du Krankheiten?«
»Min Ju ist krank? Wirklich? Das habe ich nicht gewußt. Er fragte mich, wieso ich in meinem Alter noch so gesund bin, und ich habe geantwortet: Das verdanke ich meinem Arzt. Er ist ein Widerling, aber seine Diagnosen sind wasserdicht. Was fehlt ihm?«
»Die Gesundheit.«
»Witzbold! Er ist zu dick, nicht wahr?«
»Bald nicht mehr.«
»Du machst ihn schlank?«
»Ich nicht … das machen andere Schlankmacher.«
»Red nicht so dämlich! Was hat er?«
»Du weißt, daß ich dir das eigentlich nicht sagen darf, aber da du mein Freund bist: Dein Chinese hat ein fulminantes Pankreas-Carzinom!«
»Du lieber Himmel! Hast du ihm das gesagt?«
»Nein! Weiß ich, wie ein Chinese darauf reagiert? Vielleicht sticht er mir in die Hoden!«
»Da täte er ein gutes Werk!« Rathenow wischte sich über die Augen. Irgendwie war er doch erschüttert. »Wie lange hat er noch?«
»Nach dem Röntgenbild – ein halbes Jahr oder weniger.«
»Ich meine, du solltest es Min Ju doch sagen. Er hat mir irgendwann einmal erzählt, daß in München einige gute chinesische Ärzte leben.«
»Glaubst du, die können mehr als ich?« Freiburg sah seinen Freund etwas beleidigt an, und als dieser sein Glas hob, sagte er: »Nein! Du bekommst keinen Wodka mehr! Sag du es ihm!«
»Das kann ich nicht. Indem du es mir gesagt hast, hast du das Schweigegebot der Ärzte gebrochen. Er könnte dich anzeigen.«
»Verdammt, er soll froh sein, wenn er noch ein halbes Jahr lebt!«
»Und welche Therapie willst du bei ihm anwenden?«
»Die konservative. Mehr ist nicht zu tun. Chemotherapie, Bestrahlungen, wenn es ins Endstadium geht – Morphine.«
»Also die klassische Methode.«
»Sag' ich doch. Das Ca ist inoperabel. Metastasen sind bereits in der Lunge und der Leber. Ich habe ihm das Rauchen verboten.
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