Der Schwarze Mandarin
Ehrgeiz, um dem Gao Lao in Hongkong zu zeigen, wie gut sie sind. Min Ju aber kenne ich jetzt. Ich habe sein Vertrauen. Ich könnte vielleicht einiges verhindern … mit seinem Tod wäre ich vollkommen isoliert. Der neue Daih-Loh von München wird von Anfang an mein Feind sein. Und Aisin Ninglin als Daih-Loh? Das wäre das Furchtbarste, was überhaupt denkbar ist … München, die Hauptstadt der Killer.
Ja, so ist es! Man sollte alles versuchen, Mins Tod hinauszuschieben. Jeder Monat zählt jetzt – so schrecklich und irrsinnig es auch klingt!
Das Läuten des Telefons schreckte ihn aus seinen Gedanken. Dr. Freiburg war am Apparat. Im Hintergrund hörte man Musik und Stimmengewirr. Der Ball war im vollen Gange.
»Ich habe da noch eine Frage, Hans!« sagte Freiburg. »Die läßt mir keine Ruhe.«
»Jetzt, beim Ball?« Rathenow grinste vor sich hin.
»Hans, woher kennst du eigentlich diesen Min Ju?«
Rathenow hatte auf diese Frage längst gewartet und sich eine glaubhafte Erklärung zurechtgelegt.
»Er ist Mittelsmann zu einem meiner chinesischen Verleger.«
»Herr Min hat doch eine Handelsgesellschaft.«
»Eben. Er handelt mit hunderterlei Dingen – auch mit Büchern und Buchrechten. Chinesen sind sehr vielseitig, wenn man damit Geld verdienen kann.«
»Und dann vermarktet er deine Bücher? Will er Pleite machen? Ich hätte ihn für klüger gehalten.«
»Danke, du Medizin-Idiot!«
»Gern geschehen. Immer zu deinen Diensten.«
Freiburg legte auf. Zufrieden lehnte sich Rathenow zurück. Das wäre erledigt … er glaubt es. Er wird nicht wieder fragen. Für ihn ist Min Ju nur ein Patient mit einem Krebsleiden. Und das ist gut so.
Rathenow stellte den Wecker auf drei Uhr. Die helle Sommernacht war so warm, daß er sich nackt auf die Bettdecke legte und sich vornahm, nach dem Preis einer Klimaanlage für das Schlafzimmer zu fragen. Als der Wecker läutete, fuhr er aus tiefstem Schlaf hoch.
Drei Uhr. In Kunming ist es jetzt neun Uhr. Jetzt mußte Liyun im Büro des CITS sein. Er suchte ihre Visitenkarte in seinem Nachttisch und las sie zum wiederholten Mal: Wang Liyun. China International Travel Service. Kunming Branch. French and German Dept. 8 He Ping Xincun. Huan Cheng nan Lu, Kunming. 650 011 Tel.: (08 871) 3 25 12 and 3 25 47. VR China.
Das soll sich einer merken! Rathenow wählte die Nummer. Es war wie immer: endloses Knacken in der Leitung und dann nach der zweiten Nummer der Besetztton.
Rathenow trank ein großes Glas eiskaltes Mineralwasser, das er aus der Küche holte, und wählte wieder. Immer wieder die beiden Nummern, und immer wieder der Besetztton. Es war zum Verzweifeln. Endlich, gegen vier Uhr morgens, meldete sich eine helle Zwitscherstimme auf chinesisch. Rathenow atmete auf. Er sprach jetzt Englisch.
»Hier ist Hans Rathenow. Kann ich Frau Wang Liyun sprechen?«
»Nein!« war die knappe Antwort.
»Warum nicht?«
»Sie ist nicht da. Sie führt eine Gruppe nach Dali.«
»Wann kommt sie zurück?«
»In sechs Tagen.«
»So spät?«
»Die Gruppe reist weiter nach Lijiang.«
»Lijiang. Natürlich. Würden Sie Liyun, wenn sie zurückkommt, sagen, daß ich angerufen habe?«
»Wie ist Ihr Name?«
»Hans Rathenow.«
»Bitte buchstabieren Sie.«
Rathenow buchstabierte seinen Namen, und das Fräulein am Telefon wiederholte die Buchstaben. Dann fragte sie:
»Waren Sie schon Kunde bei uns?«
»Welch eine Frage! Woher sollte ich sonst Wang Liyun kennen?«
Das war ein grober Fehler. Das Mädchen sagte okay und legte auf. Man schnauzt kein chinesisches Mädchen grundlos an. Höflichkeit ist die Blume der Verehrung und das mindeste, was man von einem Menschen verlangen kann. Einen unhöflichen Menschen muß man verachten.
Das Mädchen am Telefon in Kunming war wütend. Diese eingebildeten Ausländer! Sind wir Fußabtreter für sie? Was bilden sie sich ein, nur weil sie Geld haben?
Sie griff nach dem Zettel, auf dem sie den Namen notiert hatte, zerriß ihn und warf ihn in den Papierkorb.
So erfuhr Liyun nie, daß Rathenow angerufen hatte.
Und weil sie es nie erfuhr und auch von der deutschen Botschaft nichts hörte, dachte sie in den kommenden Wochen: Er hat mich vergessen. Es waren wirklich alles nur leere Worte. Er will mich gar nicht in Deutschland haben. Er liebt andere Frauen als mich. Natürlich liebt er sie. Sie sind schöner als ich, sind größer, haben eine bessere Figur und größere Brüste und zieren sich nicht, mit ihm ins Bett zu gehen. Ich bin nur ein kleines,
Weitere Kostenlose Bücher