Der Schwarze Mandarin
kleine Nachtmusik.
Du bist ein verrückter Hund, hätte Freiburg gesagt.
Und dann kam Liyun die breite Treppe herunter in die Halle. Rathenow hatte auf sie gewartet und sah zu ihr hinauf, wie sie die Stufen herunterkam. Sie trug einen hellgelben, gerade geschnittenen kurzen Rock, der eine Handbreit über dem Knie endete und ihre schönen, für ihre Größe langen Beine freigab, und eine weiße Seidenbluse, bunt bestickt mit Blumen und Gräsern. Die Haare fielen ihr offen und locker auf die Schultern. Sie glänzten im Schein der Lampen wie poliertes Ebenholz.
Am Fuße der Treppe blieb Liyun stehen und drehte sich einmal um sich selbst.
»Jetzt fühle ich mich wohler«, sagte sie und lachte hell.
Rathenow stockte der Atem bei ihrem Anblick. Er erinnerte sich an die alten Tuschbilder der berühmten chinesischen Maler, die er im Museum von Kunming gesehen hatte, an diese ätherischen, schwebenden, schwerelosen, elfengleichen Frauengestalten, deren zarte Gesichter das gleiche Lächeln verklärte, wie es jetzt um Liyuns Mund lag: Die ewige Schönheit war lebendig geworden, greifbarer als auf den Rollbildern aus Seide oder Reispapier.
»Du siehst wundervoll aus«, sagte er mit belegter Stimme.
Sie drehte sich wieder kokett um sich selbst wie ein Model, das die neue Mode vorführt.
»Ich habe das in China gekauft«, sagte sie dabei. »Einen Tag vor meinem Abflug. Mama meinte, das sei zu auffällig, nicht sittsam genug – aber mir gefällt es. Ich habe gesehen: Die deutschen Frauen tragen noch viel weniger, und man sieht viel mehr Haut. In China würde man ihnen nachstarren.«
»In Deutschland werden sie dir nachstarren.«
Sie blieb stehen und sah ihn entsetzt an.
»Ist es so schlimm? Ich werde mich umziehen …«
»Sie werden dich anstarren, weil du so schön bist.«
»Ich bin nicht schön – nur anders als ihr.« Sie kam auf ihn zu. Rathenow bezwang sich, sie in seine Arme zu reißen. Es könnte sie erschrecken, dachte er. Vorhin, auf dem Bahnsteig, war es etwas anderes – da konnte man es mit dem Überschwang der Wiedersehensfreude erklären. Aber sie hat mich wieder geküßt – und ist doch bei dem förmlichen ›Sie‹ geblieben. Was denkt sie wirklich?
»Zeigen Sie mir jetzt Ihren Palast?« fragte sie.
»Nachher, Liyun. Jetzt lade ich dich erst zum Essen ein. Du mußt doch Hunger haben …«
»Und wie! Fahren wir irgendwohin?«
»Wir bleiben hier.«
»Sie haben gekocht?« Liyun blickte ihn zweifelnd an. »Können Sie das denn?«
»Ich bin ein ganz guter Hobbykoch. Meine Gäste sind noch nie gestorben.«
»Ein so berühmter Mann steht am Ofen und kocht? Wenn ich mir vorstelle, unser Ministerpräsident Li Peng rührt in einem Suppentopf – undenkbar.«
»Weißt du das so genau? Vielleicht tut er es sogar. Viele berühmte Männer waren gute Köche. Rossini, der große Komponist; Fürst Stroganow, einer der reichsten Männer im zaristischen Rußland; Geheimrat Holstein, die Graue Eminenz im deutschen Kaiserreich; auch von dem großen Chirurgen Sauerbruch heißt es, er brutzelte gern in der Küche und blies, wenn er gut gelaunt war, in den Hotels, in denen er auf seinen Reisen abstieg, auf der Trompete.«
»Sie aber leben wie ein Kaiser …«
»Das sieht nur so aus. Das ist alles nur äußerlich. Ohne Tantes Erbe müßte ich, nach 53 Prozent Steuerabzug, ganz schön rechnen.«
»So viel Steuern müssen Sie zahlen?« Liyun schüttelte den Kopf. »Bei uns in China zahlen selbst die Millionäre nur 20 Prozent Einkommensteuer.«
»Glückliches China!«
»Und wenn Sie als Ausländer in China eine Firma gründen, sind Sie zwei Jahre lang völlig steuerfrei.«
»Auf nach China!«
»Sie als berühmter Ethnologe und Schriftsteller hätten sogar noch Sonderrechte. Wir lieben unsere großen Künstler.«
»Im Gegenteil zu Deutschland. Wer hier als Schriftsteller viel Geld verdient, ist sofort verdächtig. Der Neid ist des Menschen zweite Seele. Da sitzt ein Beamter und liest die Steuererklärung und denkt sich: Dieser Kerl … der verdient so viel. Ist das gerecht? Dem klopfen wir jetzt mal auf die Finger. Der eigentliche Nutznießer eines Werkes bin nicht ich, sondern ist das Finanzamt, denn es nimmt sich mehr von den Honoraren, als ich bekomme … ohne eine Zeile geschrieben zu haben.«
»Ihr seid doch eine Demokratie. Warum wehrt ihr euch nicht?«
»Wie denn? Wir haben unsere Regierung ja selbst gewählt. Da siehst du die Kluft zwischen uns: Ihr versteht uns nicht, wir verstehen euch nicht … aber
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