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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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saßen sie im Salon, nahmen doch einen kleinen Imbiß zu sich, und Rathenow zeigte ihr die Bilder, die er in China gemacht hatte. Aber jedesmal, wenn Liyun ein Bild von sich sah, verzog sie den Mund und sagte: »Ich sehe schrecklich aus. Werfen Sie das Bild weg! Zerreißen Sie es.«
    »Es sind meine schönsten Bilder. Ich werde nie den Abend vergessen, als du am Lugu-See saßest und in der untergehenden Sonne geweint hast.«
    Sie tranken den Montrachet, und Rathenow stellte mit einem Lächeln fest, daß er Liyun gut schmeckte. Sie trank ein zweites Glas, hockte sich mit untergeschlagenen Beinen in den Sessel und hörte der Musik zu, die leise aus den Lautsprechern kam. Die Symphonie Classique von Sergeij Prokofjew.
    »Wie schön«, sagte sie einmal und legte den Kopf weit zurück.
    »Was?« Rathenow starrte sie an. Er bezwang den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen.
    »Die Musik. Ich mag diese Musik. Die meisten Chinesen verstehen sie nicht. Man muß sie fühlen …«
    Am späten Abend klingelte das Telefon.
    Dr. Freiburg. Seine Stimme klang, als habe er im Golf-Club wieder zuviel Whisky getrunken.
    »Ist sie da?« fragte er.
    »Ja.«
    »Na, und wie ist sie? Hat sie sich verändert, bist du enttäuscht?«
    »Nein.«
    »Deine knappen Antworten gefallen mir nicht. Sie signalisieren keine Freude. Was dudelt denn da im Hintergrund?«
    »Das Violinkonzert von Max Bruch.«
    »Ach du Scheiße! Habt ihr nichts Besseres zu tun? Ein Streichkonzert!«
    »Geh ins Bett«, sagte Rathenow grob. »Du bist wieder total besoffen!«
    »Und allein! Ich beneide dich …«
    Rathenow legte wortlos auf. Liyun nippte wieder an ihrem Wein. »Wer ruft denn so spät noch bei Ihnen an?« fragte sie. Weibliche Neugier klang in dieser Frage. Das war eine Frau, dachte sie. Es war bestimmt eine Frau … um diese Zeit.
    »Es war ein guter Freund von mir.«
    »Ein Freund? Sie waren aber sehr unhöflich zu ihm.« Sie hielt die Hand vor den Mund und gähnte. »Ich bin müde. Der Wein … ich trinke sonst nie Wein. Und es war ein langer Tag. Darf ich schlafen gehen?«
    »Liyun, du darfst alles! Du kannst bis morgen mittag schlafen, wenn du willst.«
    »Ich schlafe gern.« Sie erhob sich aus dem Sessel, strich den Rock glatt und warf mit einem Ruck die Haare zurück. »Sie gehen noch nicht schlafen?«
    »Ich räume noch etwas auf.«
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Auf gar keinen Fall. Du gehst jetzt hinauf in dein Zimmer … und morgen sehen wir uns wieder.«
    »Wie der Kaiser will.« Sie gingen in die Halle. Am Fuß der Treppe küßte Rathenow sie auf die Stirn. »Gute Nacht, Liyun«, sagte er.
    »Gute Nacht, Herr Rathenow.« Sie gab ihm ihre kleine Porzellanhand und zuckte plötzlich zusammen. »O Gott …«
    »Was ist, Liyun?«
    »Ich habe vergessen, Frau Frantzen anzurufen. Ich sollte sofort telefonieren, daß ich gut bei Ihnen angekommen bin. Sie werden böse sein auf mich.«
    »Ich regele das morgen früh. Ich werde die Schuld auf mich nehmen.«
    »Danke.« Ihre dunklen Mandelaugen strahlten ihn an. »Immer beschützen Sie mich.«
    Sie drehte sich um, rannte leichtfüßig, als berühre sie keine Stufe, die Treppe hinauf, riß die Tür ihres Schlafzimmers auf, warf sie hinter sich zu, und Rathenow hörte deutlich, wie sie den Schlüssel herumdrehte. Es sah aus wie eine Flucht.
    Im Zimmer riß sie sich die Kleider vom Leib und warf sich nackt bäuchlings auf das Bett.
    »Warum bin ich so dumm?« schrie sie in die Kissen hinein, die jeden Ton erstickten. Warum bin ich nicht so wie andere Frauen? Ich liebe ihn doch … ich liebe ihn … aber ich habe Angst, es ihm jetzt schon zu zeigen.
    Ich bin betrunken. Der Wein! Liyun, beherrsch dich! Ich bin betrunken. Nimm dich zusammen …
    Aber ich liebe ihn …
    *
    Rathenow saß an seiner Schreibmaschine und arbeitete.
    Liyun schlief noch. Im Speisezimmer hatte Rathenow für sie den Tisch gedeckt und Kaffee gekocht. Es stand alles auf dem Tisch, was zu einem ausgiebigen Frühstück gehört: verschiedene Sorten Wurst, Zucker, ein Glas Orangensaft und frische Brötchen in einem Flechtkorb, den er aus Borneo mitgebracht hatte. Die Brötchen brachte jeden Morgen ein Bäcker vorbei, der sie in einem Leinensäckchen an die Türklinke hängte … seit über zwölf Jahren.
    Auf den Teller hatte Rathenow einen Zettel gelegt: ›Guten Morgen, kleine Liyun. Guten Appetit. Ich bin in meinem Arbeitszimmer.‹
    Es war schon nach zehn Uhr, da klopfte es an Rathenows Tür. Bevor er etwas sagten konnte, wurde sie aufgestoßen, und

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