Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Liyun kam herein. Sie trug ein großes Tablett vor sich her, auf dem alles stand, was vorher auf dem Tisch gestanden hatte. Auch den Kaffee brachte sie mit, in einer Thermoskanne. Sie trug weiße, enge Jeans und eine ärmellose Bluse und tappte barfuß über die Teppiche. Sie blieb an der Tür stehen und sagte: »Darf ich hereinkommen? Ich fühle mich so einsam in dem riesigen Zimmer und unter dem Blick Ihrer Mutter. Ach ja: Guten Morgen. Stört es Sie, wenn ich bei Ihnen frühstücke?«
    »Nein. Du störst nie. Aber jeder andere würde hinausfliegen. Wenn ich schreibe, bin ich wie ein Drache, der jeden vor seiner Höhle auffrißt.«
    »Verzeihung! Dann gehe ich wieder.«
    »Du bleibst. Du darfst alles, nur du.« Rathenow sprang von seinem Schreibtischsessel auf und nahm ihr das schwere Tablett ab. Dabei sah er, daß zwei Tassen, zwei Teller, zwei Bestecke und eine Thermoskanne darauf standen.
    »Du hast für mich auch ein Gedeck mitgebracht?«
    »Ja. Haben Sie denn so früh schon gegessen?«
    »Ein wenig …«
    »Ein wenig ist zuwenig für einen Mann, der arbeitet.«
    »Du warst in der Küche?«
    »Ja.«
    »Und du hast alles gefunden?«
    »Ich bin doch nicht dumm.« Sie lachte und half Rathenow beim Decken eines runden Tisches, der vor einer Couchecke stand. »Ich muß sofort wieder in die Küche.«
    »Warum? Es ist doch alles da.« Rathenow blickte über den Tisch. »Es fehlt nichts.«
    »Ich habe Nudeln auf dem Herd. Sie müssen gleich gar sein.«
    »Du hast … du hast Nudeln gekocht? Jetzt?«
    »Ich habe alles in der Küche gefunden. Nudeln, Brühwürfel, Fleisch von gestern abend … das habe ich klein geschnitten. Und viele schöne Gewürze haben Sie im Schrank. Ich koche eine Nudelsuppe, nur die Sojasoße fehlt.«
    »Liyun, was soll das alles?« Er schüttelte entgeistert den Kopf. »Wir werden zu Mittag in der Stadt essen.«
    »Ich esse die Nudelsuppe jetzt. Haben Sie vergessen, was Sie in China gesehen haben? Ein Chinese muß morgens seine heiße Suppe haben, sonst wird es kein guter Tag. Und Sie haben gesagt, ich darf alles machen …«
    »Ich Trottel!« Rathenow schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Du hast recht, Liyun. Eure Morgensuppe. Verzeih, daß ich europäisch gedacht habe.«
    »Es ist doch Ihre Heimat – aber ich brauche heute eine Nudelsuppe …«
    »Ohne Sojasoße. Wir kaufen sie nachher sofort. Setz dich, Liyun … ich schaue nach den Nudeln.«
    »Nein, das ist meine Sache.« Sie zeigte auf die Couchecke. »Sie setzen sich.«
    Rathenow setzte sich gehorsam. »Du bist wunderbar, Liyun.«
    »Ich habe Hunger. Habe ich zu lange geschlafen?«
    »Ja …«
    Sie sah verlegen auf. »Verzeihung, stört es Sie?«
    »Ja … denn mein Tag beginnt erst, wenn ich dich sehe …«
    Sie drehte sich um und lief hinaus. Wie sicher sie auf einmal geworden ist, dachte er. Ihre Scheu ist über Nacht verflogen. Sie hat meine Küche benutzt, als sei das immer so gewesen. Sie fühlt sich schon am ersten Tag wie zu Hause.
    Er warf einen Blick hinüber zu seiner Schreibmaschine. Heute nicht mehr. Keine Zeile! Der Tag heute gehört Liyun, ihr ganz allein! Wir werden durch die Wälder gehen, uns ans Ufer der Isar setzen, in einem Biergarten eine richtige Brotzeit essen und am Abend, wenn sich die Hitze gelegt hat, durch die Innenstadt bummeln. Und sie wird staunen, was es alles zu kaufen gibt.
    Liyun kam zurück mit einer Porzellanschüssel voll dampfender Nudelsuppe. Sie setzte sich Rathenow gegenüber an den Tisch und begann, ihre Suppe zu löffeln. Er sah ihr eine Weile zu. Dann fragte er:
    »Sind die Teller alle noch schmutzig?«
    »Warum?«
    »Weil du aus der Schüssel ißt.«
    »Nudelsuppe muß man aus der Schüssel essen. Haben Sie schon mal einen Chinesen gesehen, der Suppe aus einem Teller ißt?«
    »Und bei Dr. Frantzen hast du morgens auch immer Suppe gegessen?«
    »Nur am ersten Tag. Ich muß mich doch an die deutsche Küche gewöhnen.«
    »Und das brauchst du bei mir nicht?«
    »Nein.« Ihre strahlenden Augen sahen ihn kokett an. »Sie sind anders. Sie verstehen unser Leben und unsere Menschen. Dr. Frantzen wäre nie zum Lugu-See gefahren und hätte in einer chinesischen Bauernhütte gewohnt. Er stieg nur in Luxushotels ab. Und überall hat er europäisch gegessen.«
    »Nie in einer Garküche an der Straße?«
    »Unmöglich! Aber Sie haben es getan. Sie haben in Lijiang sogar Hundegoulasch gegessen …«
    »Das hat mir keiner gesagt! Liyun, ich muß mich über die Reiseleiterin der CITS

Weitere Kostenlose Bücher