Der Schwarze Mandarin
beschweren …«
»Hätten Sie es nicht gegessen?«
»Wahrscheinlich doch … um zu probieren, wie es schmeckt.«
»Sie hätten es nicht gemerkt, denn das Fleisch war mit Ma La Jiang gewürzt.«
»Was ist das?«
»Ma La Jiang ist eine ganz scharfe Soße aus Sichuan.«
»Ich kann mich erinnern … ein paarmal war das Essen höllisch scharf. Mir hat die Kehle gebrannt, und ich mußte husten.«
»Das weiß ich noch.«
Liyun lachte und rührte in ihrer Nudelsuppe. »Einmal haben Sie Ochsenfleisch mit Hei dou Jiang gegessen – das ist eine scharfe schwarze Bohnensoße. Und La Jiao Jiang haben wir auch immer bekommen …«
»Ist das dieses Teufelszeug mit den roten Körnchen? Bei uns heißt das Sambal Oelek.«
Sie aß wieder zwei Löffel Nudelsuppe. »Das fehlt hier. Soja und La Jiao Jiang.«
»Wir werden nachher sofort zu einem chinesischen Laden fahren und alles kaufen, was du brauchst.«
»Auch Glasnudeln und getrocknete chinesische Pilze? Es gibt viele Sorten bei uns. Am beliebtesten sind Mu Er und Xiang fu.«
»Du kannst alles kaufen. Aber dann mußt du auch chinesisch für uns kochen.«
»Gern! Wann fahren wir?«
»Sofort nach dem Frühstück.« Rathenow goß sich eine Tasse Kaffee ein, aber er aß nichts. Liyun blickte beim Essen auf. »Möchten Sie auch Nudelsuppe?«
»Ja … gern …«
Sie schob ihm die Nudelschüssel zu, und er nahm ihren Löffel und aß ein bißchen. Er hatte das Gefühl, als gehörte Liyun schon lange zu seinem Leben. Es war für ihn so selbstverständlich, als sei sein Leben nie anders gewesen. Nur sein Geheimnis – ein Triade, ein Bruder, ein Hong zu sein – lag noch zwischen ihnen. Das wollte er ihr am heutigen Abend sagen, und er hatte Angst davor. Würde sie ihn verstehen? Und dann dachte er wieder: Liebt sie mich? Bleibt sie bei mir? In drei Monaten läuft ihr Visum ab – was dann?
Rathenow schob Liyun die Nudelsuppe zu.
»Sie haben fast nichts gegessen!« sagte sie tadelnd.
»Ich hatte doch schon gefrühstückt.«
»So auf die Schnelle. Aber jetzt haben Sie Zeit. Sie essen noch ein Brötchen mit Wurst. Ab morgen mache ich Ihnen Dampfbrötchen. Wir werden alles kaufen.«
»Liyun, ich werde in vier Wochen zwei Zentner wiegen!«
»Das macht nichts. Ein dicker Mann gilt bei uns als wohlhabender Mann. Denken Sie nur an den den Gott Bao-Dai, den Gott der Zufriedenheit und des Glückes.«
»Um Himmels willen. Willst du mich so fett haben?«
»Nein. Aber gute chinesische Küche macht nicht dick. Sie ist gesund, gesünder als Ihre Küche mit dem vielen Fett, den dicken Soßen, den Klößen, den Pommes frites, den Puddings und den Cremes.« Sie blickte ihn an, und Rathenow sah, daß sie seine blonden Haare musterte. »Können Sie Ihre Haare nicht wieder weiß machen?«
»Das wird Komplikationen geben …«
»Wenn ich Sie ansehe … Sie sind mir so fremd. In meinen Gedanken sah ich Sie immer mit dem silbernen Haar.«
»Du hast viel an mich gedacht, Liyun?«
Sie antwortete darauf nicht, schnitt ein Brötchen auf, beschmierte es mit Butter und legte eine Scheibe gekochten Schinken darauf. Auf der flachen Hand hielt sie Rathenow das Brötchen hin.
»Bitte essen …«
Gehorsam biß er in das Brötchen. Liyun stand auf, räumte den Tisch ab und trug alles auf dem großen Tablett zurück in die Küche. Als sei sie hier die Hausfrau, wickelte sie die Wurst in Folie und legte sie in eine Schale des Kühlschrankes, räumte das gebrauchte Geschirr in die Spülmaschine und die zurückgebliebenen Brötchen in eine Frischhaltebox aus Ton. Dann wischte sie mit einem feuchten Tuch über die Arbeitsplatte der Küche und spülte die Kaffeekanne mit der Hand.
Rathenow blieb an der Küchentür stehen und sah ihr zu. Er hielt sie an den Schultern fest, als sie zum Besenschrank ging, um einen Besen herauszuholen.
»Nein!« sagte er. »Das macht morgen die Putzfrau.«
»Morgen ist zu spät. Es muß immer alles sauber sein.«
»Das ist nicht deine Aufgabe.«
»Was soll ich sonst tun? Ich arbeite gern.«
»Du bist als Gast bei mir, nicht als Hausmädchen.«
Gast. Er hätte sich, kaum daß er das Wort ausgesprochen hatte, ohrfeigen können. Gast ist etwas Fremdes, Unpersönliches, Vergängliches. Ein Gast kommt und geht, und manchmal ist man froh, wenn er »Auf Wiedersehen!« sagt und denkt sich: Bloß das nicht! Liyun ist kein Gast. Sie gehört zu mir, zu meinem Leben.
»Ich möchte mich dankbar zeigen. Sie sind so gut zu mir … und ich habe große Freude, bei Ihnen zu sein. Sie
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