Der Schwarze Mandarin
gedacht hatte: Hochzeitsreise. Ein Wort, das ihre Gefühlswelt irritierte. Dachte er wirklich an Heirat? Eine kleine Chinesin, und dann noch aus Rotchina, als Frau Rathenow? Würde das nicht einen Skandal auslösen? Stand er dann nicht außerhalb seiner Gesellschaft? Würde man ihm nicht überall mit einem mokanten Lächeln begegnen? Der Opa mit der Enkelin? Der alte Mann auf Schmetterlingsjagd? Wie lange konnte er diese Mißachtung ertragen? War sie überhaupt erträglich? Würde er nicht über kurz oder lang von diesem Spott ausgehöhlt werden und dann diese unmögliche Ehe als seinen Untergang empfinden? War es nicht besser, wirklich eine Niang Niang, seine Konkubine, zu bleiben, bis der Tod sie trennte? Ein Leben lang in seiner Nähe zu sein, für ihn zu sorgen, ihn zu pflegen, in seiner Liebe glücklich zu sein – war das nicht das Wunderbarste, was man von einem Leben erwarten konnte?
Frau Liyun Wang-Rathenow … hieß so das Ende eines Glücks?
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte völlig überraschend:
»Ich habe etwas vergessen.«
»Was fehlt dir noch?« antwortete er und fuhr langsamer.
»Ein Beil.«
Er lachte und blickte sie kurz an. »Willst du mich erschlagen, wenn ich dir jemals untreu werden sollte? Du wirst dazu keine Gelegenheit haben. Was dir auch später die Neider erzählen werden, vergiß es! Meine Niang Niang ist die letzte Frau bis zur Ewigkeit. Ich schwöre es dir.«
»Es geht nicht darum, dich zu töten – dazu würde ich kein Beil brauchen. Ich muß es für die Küche haben.«
»Willst du die Möbel zerhacken, damit ich eine neue, modernere kaufe?«
»Ich brauche das Beil, um Fleisch und Gemüse zu hacken, Kräuter und alles, was zerkleinert werden muß. Ein Küchenbeil. In keiner chinesischen Küche kann man ohne Beil arbeiten. Jeder Koch wäre hilflos ohne sein Küchenbeil. Es ist für uns wichtiger als Messer und alle anderen Geräte. Mit einem Beil kann man alles machen.«
Rathenow erinnerte sich an die chinesischen Küchen, die er gesehen hatte, und er hatte gestaunt, mit welcher artistischen Fähigkeit und Schnelligkeit die Köche das Fleisch, die Hühner und Gänse und Enten in kleine Stücke hackten, damit man sie mit den Stäbchen essen konnte. Da waren selbst die größten und schärfsten Messer untauglich, denn in China zerhackt man das Geflügel mit den Knochen und läßt sie, so zerkleinert, im Fleisch. Man nagt sie ab und wirft sie dann in eine Schale … oder einfach auf den Boden. Er hatte Restaurants besucht, wo die Chinesen nach dem Essen aufstanden, und um ihre Stühle herum lagen die Knöchelchen und andere Essensreste. Sie wurden dann einfach weggekehrt.
»Wir kaufen morgen dein Küchenbeil«, sagte er. »Komm, gib mir schnell noch einen Kuß.«
»Warum?«
»Weil du so schön bist.«
An diesem Abend kochte Liyun ein Hühnchen mit Salbeiblättern und verschiedenem Gemüse, Bambussprossen und Bohnenkeimlingen. Sie weihte damit den neuen Wok ein. Den chinesischen Reis ließ sie in einem großen Topf garen, weißen, kleinkörnigen Reis, der nicht zusammenpappte, sondern locker, Korn für Korn, in den Schalen lag, die Liyun gekauft hatte … Porzellanschalen mit durchsichtigen Punkten und bemalt mit Blumensträngen und einem roten Drachen. Made in VR China.
Rathenow hatte unterdessen Zeit, die Zeitungen zu lesen. Schon die Schlagzeilen trafen ihn wie ein Schlag:
Bandenkrieg in München.
Drei russische Mafia-Mitglieder und zwei Chinesen tot am Chiemsee gefunden.
Das Blutbad am Chiemsee. Kampf der Triaden gegen die Rus sen-Mafia. Wird Deutschland das neue Zentrum der organisier ten Kriminalität? Unsere Polizei – machtlos!
Schlachtfeld Chiemsee. Polizei befürchtet weitere Bandenmorde. Es geht um Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Prostitution. Der gnaden lose Kampf um den Markt der Unterwelt.
Rathenow las die Artikel mit wachsender Erregung. Aisin Ninglin war offenbar voll in Aktion. Er mußte vor Freude geradezu jubeln … Messer, Axt und Pistole frei! Jetzt konnte er Menschen zerteilen wie auf dem Schlachthof Schweine und Rinder.
Aber da stand auch das Wort Schutzgeld … und das zog Rathenow in das Morden hinein. Als er die Zeitungen auf den Teppich warf, wurde ihm bewußt, daß 14K nun auch ihn alarmieren würde. Auffordern, an dem Töten teilzunehmen. Vernichten, wer in sein Revier eindringen würde. Ein Gedanke, der ihn fast zum Wahnsinn trieb. Töten – oder wegen Ungehorsams selbst getötet werden, das war die einzige Alternative.
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