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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kneten sein. Auch wenn Liyun das keuscheste Mädchen der Welt sein sollte, sie wird in einem Mann wie Rathenow einen See der Gefühle hinterlassen, in dessen silberner Fläche er sich immer wieder spiegeln und betrachten wird.
    Nach diesen poetischen Gedanken – wie viele Chinesen schrieb auch Cheng Zhaoming heimlich Gedichte, die er sorgsam unter einem lockeren Dielenbrett seines Zimmers versteckte – verließ er das Hotel, stieg in ein Taxi und fuhr davon. Danzhai sah ihm mit gerunzelter Stirn nach. Er traute diesem Cheng nicht, rein vom Gefühl her, aber es gab nichts Nachteiliges, was man über ihn sagen konnte. Er war ein guter Gast und geizte nicht mit Yuans, wenn er eine Auskunft brauchte.
    Wie er diese Auskünfte verwertete, das wußte keiner. Warum auch? Eine Frage war nicht strafbar. Neugier, die Yuan-Scheine hinblättert, soll man nicht hindern.
    So streichelte Danzhai sein Gewissen, riß sich aus seinen Gedanken los und wandte sich drei Taiwanern zu, die nach einem Zimmer fragten.
    Das Hotel war besetzt; es war nur noch eine große Suite frei mit drei Betten.
    Die Taiwaner nahmen sie. Mit einem Lächeln zahlten sie den irren Preis.
    *
    Die Nacht in einem großen chinesischen Hotel, vor allem in einer Großstadt wie Kunming, kann zu einem Abenteuer werden.
    Nicht, daß die Betten durchgelegen sind – sie sind bestens gepflegt. Auch die Badewäsche und die Bettwäsche sind einwandfrei, blitzsauber und gebügelt. Nicht von ungefähr gelten chinesische Wäscher als die besten der Welt. Ihr Fleiß ist geradezu sagenhaft und für einen Deutschen nahezu unverständlich. Jede europäische und amerikanische Gewerkschaft würde glatt von Ausbeutung sprechen, aber für einen chinesischen Wäscher gehört ein blitzsauberer, korrekt gefalteter Wäscheberg zu seiner Ehre.
    Das ist es also nicht, was eine Nacht in einem Hotel mit vielen ausländischen Gästen zu einem Abenteuer werden läßt, aber …
    Rathenow zog sich aus, stellte sich unter die Dusche, ließ erst warmes, dann kaltes Wasser über seinen Körper laufen und sah dann in den Spiegel.
    Er sah einen Mann mit weißen Haaren, die eigentlich einen Schnitt nötig hatten, ein rundes, glattes Gesicht, fast faltenfrei, mit einem schmalen Mund. Trotz seiner glatten Haut kam er sich alt vor, auch wenn er sich bemühte, das nicht zu zeigen, und einen noch kräftig-männlichen Schwung zur Schau stellte. Nach außen hin gab er sich unverwüstlich, aber manchmal, in bestimmten Streßsituationen, mußte er sich sagen: Übertreib es nicht, Rathenow. Du bist 58 Jahre alt! Du bist ein Baum, an dem schon einige Blätter welken, und wenn du morgens aufstehst, tut dir ab und zu das Kreuz weh, und wenn du längere Strecken läufst, spürst du es in den Waden. Nach Weißwein bekommst du Sodbrennen, und zwei Kartoffelknödel liegen dir noch zwei Tage lang im Magen. Und wenn dir eine schöne Frau begegnet, hast du plötzlich lähmende Hemmungen. Du bist unsicher geworden, Alter. Du traust dir selbst nicht mehr. Und das ist eigentlich das Niederschmetterndste, was einem Mann passieren kann.
    Liyun. Welch eine Schönheit! Alter, wärest du doch zwanzig Jahre jünger! So wird sie für dich nur wie eine kleine Göttin sein, die du ansehen und fotografieren darfst – aber nie wirst du die Hand nach ihr ausstrecken können. Du würdest dich bei ihr nur lächerlich machen! Daran denke immer, wenn sie dich drei Wochen lang durch unbekannte Gebiete führt. Du bist für sie ein großer Herr und kein Reiseabenteuer. Du bist ein alter Mann! Eingebildeter Affe, gib es doch zu.
    Er zog einen dünnen Schlafanzug mit kurzer Hose an, schaltete den Farbfernseher ein, sah sich zehn Minuten eines historischen chinesischen Filmes an, in dem jeder Darsteller ein Meister des Kung-Fu war, und knipste dann den Fernseher und das Licht aus.
    Das Duschen hatte ihn erfrischt, aber auch müde gemacht; schon nach wenigen Minuten schlief er ein.
    Das Klingeln des Telefons neben ihm auf dem Nachttisch weckte ihn. Bevor er den Hörer abhob, blickte er auf die Uhr.
    Zwei Minuten vor 23 Uhr. Wer, um alles in der Welt, rief um diese Zeit an?
    Rathenow hob ab: »Rathenow.«
    Aber dann stockte er, setzte sich auf und hielt den Hörer näher an sein Ohr.
    Im Telefon zwitscherte eine Stimme wie ein Vögelchen.
    »Mister Germany …« Sie sprach englisch, aber mit chinesischer Zunge. Das klang dann so: »Mistel Gelmany?« Rathenow mußte lächeln.
    »Ja«, antwortete er, ebenfalls auf englisch. »Gibt es etwas

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