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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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uns aus Kunming. Und es waren Fernsehteams, nie ein einzelner Mann wie Rathenow.
    Liyun wartete, bis Rathenow die Blätter auf den runden Tisch legte. Sie blickte ihn voll Spannung an.
    »Sehr gut.« Rathenow wartete, bis die Kellnerin die beiden Riesenportionen Eis und den Kaffee serviert hatte. »Aber irgendwie kommt er mir unvollständig vor. Ich dachte, wir kommen auch zum Qinghai-Tibet-Plateau und zum ›Berg der Löwen‹?«
    »Der ›Berg der Löwen‹ ist ein Heiligtum der Mosuo. Dort beten sie zur göttlichen Mutter Guanyin. Vielleicht wollte Beijing ihre religiösen Gefühle nicht verletzen, wenn ein … ein Fremder die Gottheit besucht.«
    »Das wird es sein.« Rathenow schob die Papiere zusammen und steckte sie wieder in die Plastikhülle.
    »Wann geht es los?« fragte er burschikos, als sei er wirklich zwanzig Jahre jünger.
    »Ich hole Sie morgen früh um acht Uhr ab, mit einem Toyota-Geländewagen.«
    »Den der Todesfahrer Wen Ying fährt …«
    »Ich garantiere Ihnen, daß Ihnen nichts passiert.« Sie lachte mit heller Stimme. »Sie sollen doch noch viele Bücher schreiben.«
    »So ist es!« Rathenow sah auf seine Armbanduhr. »Was machen wir jetzt?«
    »Ich fahre nach Hause, und Sie erholen sich von den Flügen. Sie waren lange unterwegs. Sind Sie nicht müde?«
    »Nicht in Ihrer Gegenwart.«
    »Und deshalb gehe ich. Sie sollen sich ausschlafen. Ab morgen werden die Tage hart, und wir werden nicht in Luxushotels schlafen. Der ›Goldene Drache‹ ist das letzte, bis wir nach Kunming zurückkommen.«
    »Ich habe es auf dem Plan gesehen. Ab und zu schlafen wir in Gästehäusern der Partei. Darauf freue ich mich besonders.«
    »Erwarten Sie keinen Luxus.«
    »Wo Mao geschlafen hat, kann ich auch schlafen.«
    Sie lachte wieder und ging mit ihm zum Ausgang. Die Boys rissen die Glastüren wieder auf; sie traten aus der klimatisierten großen Halle hinaus in die Hitze, die Rathenow traf wie eine Faust. Er begleitete Liyun um den runden Brunnen mit den drei schlaffen Fontänen herum zur Einfahrt und blieb dort stehen. Links, an der Straßenmauer des Hotels, saßen die blinden Masseure. Einige hatten Kunden und kneteten ihnen die Rückenmuskeln und die Schultern durch.
    »Wie kommen Sie nach Hause?« fragte Rathenow. »Werden Sie abgeholt?«
    »Nein.« Liyun trat an die Straße und winkte. Ein Fahrradtaxi hielt an, ein Fahrrad, an das man ein schwankendes Wägelchen mit zwei Kunstledersitzen gekoppelt hatte. Sie kletterte hinein und gab Rathenow die Hand. Eine kleine, schmale Hand, die man nicht zu drücken wagte. »Gute Nacht, Herr Rathenow.«
    »Gute Nacht, Liyun.« Rathenow hielt ihre Hand noch einen Augenblick fest, aber dann entzog sie sie ihm mit einer erstaunlichen Kraft.
    »Träumen Sie gut«, sagte sie plötzlich.
    »Träumen?«
    »Es heißt, was ein Fremder in der ersten Nacht in China träumt, das erfüllen die Götter.«
    »Und Sie glauben daran?«
    »Sie nicht?«
    »Nein. Bei uns gibt es das Sprichwort: Träume sind Schäume.«
    »Und bei uns sagt man: Der Traum ist ein Gesang des Herzens. Ich habe manches geträumt, was dann wirklich Wahrheit wurde. Oder ich habe geträumt, was später zu Wünschen wurde.«
    »Und die Alpträume?«
    »Auch sie bekamen nachher einen Sinn. Ich glaube an Träume.«
    »Wenn Sie das sagen. Liyun … Ich werde mich bemühen, das, was ich heute nacht träumen werde, zu deuten. Ich erzähle es Ihnen morgen früh.«
    »Vergessen Sie nicht: acht Uhr. Ich warte in der Halle.«
    »Ich werde pünktlich sein.«
    Liyun winkte, rief dem Fahrradfahrer zu: »Fahr los!«, und sie winkte so lange, bis sie um die Straßenecke bogen und in der Menge der Fahrräder verschwanden.
    Rathenow blickte wieder auf seine Uhr. Schon 19 Uhr … essen wir jetzt ein wenig, und dann sofort ins Bett. Liyun, du hast recht – ich bin hundemüde. Aber so etwas gibt man nicht zu. Ein Mann will immer Stärke zeigen.
    Er ging zurück ins Hotel, blieb in der Halle vor einem Hinweisschild stehen und wunderte sich. Nanu, sie haben hier sogar ein russisches Restaurant! Das ist genau das richtige: Eine Tasse Borschtsch, gefüllte Pelmini und ein Glas Wein – das schafft die willkommene Bettschwere.
    Und während er zu dem russischen Restaurant ging, dachte er an Liyun, an ihre zarte Hand, die dünnen Fesseln, die schlanken Beine und die kleinen, runden Brüste unter der weißen Seidenbluse.
    Was ist mit dir, Hans Rathenow? Darf ich mich nicht mehr für ein Zauberwesen interessieren, in allen Ehren

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