Der Schwarze Mandarin
kommen.«
»Würden Sie nach Deutschland kommen, wenn ich Sie einlade, Liyun?«
Sein Herz schlug wie ein Hammer in seiner Brust. Antworte! rief es in ihm. Antworte, sag ja, bitte, bitte, sag ja! Warum zögerst du, Liyun?
»Sie würden mich einladen, Herr Rathenow?« fragte sie endlich.
»Nicht würde … Ich lade Sie hiermit ein! Ich werde sofort nach meiner Rückkehr den Antrag stellen und alles Nötige veranlassen. Es wird keine Schwierigkeiten geben – ich werde dem Kulturminister persönlich schreiben. Werden Sie kommen?«
»Ja … gern. Aber das haben schon viele Deutsche zu mir gesagt, und ich habe nie wieder von ihnen gehört. Und Sie? Sind Sie wieder in Deutschland, haben Sie mich vergessen.«
»Wie könnte ich Sie vergessen? Ein heiliger Schwur: Ich lasse Sie nach Deutschland kommen.«
Sie nickte, blickte auf ihre kleine Reisschale und sagte dann mit einer ganz merkwürdigen, kindlichen Stimme: »Ihnen glaube ich …«
Das war der Augenblick, da all seine Bedenken sich in Luft auflösten. Er wußte nur eines: Jetzt wirst du sie küssen. Du kannst nicht anders, nichts hält dich mehr zurück. Du mußt sie küssen. Liyun, ich bin verrückt.
Aber bevor er sie an sich ziehen konnte, gab es draußen im Hof einen großen Lärm, und dann stürmte eine große Gruppe in das Lokal und besetzte die lange Tafel an der Wand. Eine deutsche Touristengruppe mit einem deutschen Reiseleiter und einer chinesischen Dolmetscherin vom Reisebüro CITS. Liyun kannte sie natürlich und winkte ihr lachend zu.
»Eine Kollegin von mir«, erklärte sie Rathenow. »Die Gruppe kommt auch aus Kunming.«
Rathenow stand auf und ging auf den deutschen Reiseleiter zu. »Ich bin auch Deutscher«, sagte er.
»Willkommen in China!« Der Reiseleiter war ein noch junger Mann, der Rathenow jetzt die Hand schüttelte. »Wie gefällt Ihnen China?«
»Ich muß Ihnen etwas sagen. Sie werden es nicht verstehen, aber ich bin Ihnen dankbar.«
»Wofür?«
»Sie haben mich gerettet. Sie und Ihre Gruppe.«
»Gerettet? Wieso?«
»Sie werden es nicht verstehen. Noch einen schönen Abend und viel Vergnügen. Das Essen bei Xu ist eine Offenbarung. Lassen Sie sich überraschen.«
Er ging zu Liyun zurück und setzte sich wieder. Dabei sah er auf seine Armbanduhr. »Es ist fast 22 Uhr – im Hotel hat der Tanz längst begonnen. Fahren wir zurück?«
Seine plötzlich wieder nüchtern klingende Stimme erschreckte Liyun. Habe ich etwas falsch gemacht? fragte sie sich. Er ist auf einmal so verändert. Ist ihm das Essen nicht bekommen? Was ist mit ihm geschehen?
Sie sprang auf, und Xu stürzte auf sie zu. Er stellte keine Rechnung aus, das regelte er später direkt mit der CITS. Und ein Trinkgeld nahm er nicht an, nicht von Liyun – das hätte ihn beleidigt. Liyun mochte er gern. Wenn sie eine Gruppe nach Dali führte, brachte sie die Touristen immer zu ihm.
Er begleitete Rathenow und Liyun bis vor die Toreinfahrt, wo das Taxi geduldig gewartet hatte. Wer bestellt in der Altstadt von Dali schon ein Taxi? Xu verbeugte sich vor Rathenow, wünschte ihm den Segen aller Götter und Geister und wieselte dann zurück in seine Küche. Die deutsche Gruppe wartete auf ihr Essen.
Aus der Hotelhalle klang die Tanzmusik bis auf die Straße, als das Taxi in den Vorplatz einbog. Einige junge Paare drängten sich durch die beiden Türen.
»Da ist ja allerhand los!« sagte Rathenow. »Die spielen sogar einen Boogie.«
»Wir können alle modernen Tänze. Sogar die neuesten aus Amerika. Wir lernen sie von den Filmen, die zu uns kommen.«
»Das neue China. Bei Mao war das nicht möglich.«
»Absolut unmöglich sogar.« Liyun sah Rathenow von der Seite an. »Können Sie gut tanzen?«
»Ich weiß nicht. Ich gebe mir jedenfalls große Mühe.«
»Was sagen die Frauen dazu?«
»Sie waren zufrieden. So schlecht kann ich also gar nicht sein. Sie werden es ja sehen und mir dann die Wahrheit sagen.«
»Das werde ich bestimmt.«
Sie betraten das Hotel und gingen durch die Hotelhalle in die Bar. Sie war gestopft voll, die Band hämmerte mit ohrenbetäubender Lautstärke, auf dem Tanzparkett drängten und schoben sich die Paare hin und her.
»Ob wir hier noch einen Platz bekommen?« fragte Rathenow zweifelnd.
»Ich habe bestellt.« Liyun sah sich nach allen Seiten um. Sie suchte den Tisch. Aus einer Ecke kam ein Chinese auf sie zu: groß, sportlich, gepflegt, eine schöne Erscheinung. Liyun atmete auf.
»Das ist Herr Shen Zhi«, sagte sie zu Rathenow. »Mein
Weitere Kostenlose Bücher