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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kann ich nicht verlangen.«
    »Ich bin beauftragt worden, für einen reibungslosen Ablauf der Reise zu sorgen.«
    »Sie nehmen das zu wörtlich, Liyun. Gehen Sie im See schwimmen.«
    »Das darf ich nicht. Kein Fremder darf im Lugu-See schwimmen. Er ist der Göttin Guanyin geweiht, und jeder Fremde würde sie beschmutzen. Aus der Göttin der Barmherzigkeit würde dann eine Göttin des Zorns werden, die die Ernte vernichten, Eis aus den Bergen auf die Dörfer schleudern und sich in den Wolken am Himmel baden würde, damit sie wieder sauber wird. Dann würde es wochenlang regnen und alles hier ertrinken.«
    »Wir können also nie zusammen im Lugu-See schwimmen?«
    »Ausgeschlossen!«
    »In der Dunkelheit, wenn uns niemand sieht.«
    »Man sieht uns immer. Am See ist eine Wachstation der Polizei, die den See und den Wald bewacht und sehr streng ist. Sie haben zwei Elektroboote, mit denen sie den See bis zur Grenze von Sichuan kontrollieren. Auch sie dürfen mit keinem Motorboot fahren, weil Benzin unsauber ist und die Göttin beschmutzt. Aber sie dürfen ohne Zögern schießen, wenn jemand im Wald illegal Holz schlägt oder nachts zu dem Tempel auf der Insel fährt. Und wenn in einem Dorf ein großer Streit entsteht, kommen sie mit Schlagstöcken, die mit Hilfe von Batterien Stromstöße erzeugen, die auch den wildesten Aufrührer willenlos machen. Wenn wir schwimmen … sie sehen uns bestimmt. Ich würde das nie wagen! Sie, bitte, auch nicht! Wir müßten unseren Aufenthalt sofort abbrechen.«
    »Ob man das durchhalten kann, wenn in zwei bis drei Jahren die Touristen busweise hier ankommen? Dann werden rund um den See Hotels und Schwimmbäder stehen, und die Göttin der Barmherzigkeit wird so barmherzig sein, den Geschäftemachern das Geldverdienen zu verzeihen. Ich möchte wirklich in drei Jahren wieder hierherkommen … dann wird es hier zugehen wie am Kunming-See und am Erhai-See: Strände, Buden, Restaurants, Andenkenläden, Diebstahl und Kriminalität.«
    »Die Mosuos sind ein zähes Volk.«
    »Die Neuzeit wird sie überrollen wie ein Wagenrad, das einen Wurm in den Schlamm drückt. Deshalb will ich soviel wie möglich auf Fotos und durch Gespräche retten, ehe diese uralte Kultur erstickt in Betonbauten, Siedlungskolonien und Industriequalm.« Rathenow setzte sich in Bewegung. »Liyun, ich glaube, wir werden doch im See schwimmen.«
    »Warum muß das denn sein? Nur um zu provozieren?«
    »Nein. Ich möchte Sie im Badeanzug sehen.«
    Sie spürte, wie die Röte wieder in ihr aufstieg, aber sie antwortete spöttisch: »Auch das kann sich nicht erfüllen … ich habe gar keinen Badeanzug bei mir.«
    Der Tag ging schnell vorüber mit Fotografieren und dem Schreiben von kurzen Notizen, die Rathenow in einen Block eintrug. Es war vorerst nur ein grober Überblick. In den nächsten Tagen dann befaßte er sich näher mit der Kultur der Mosuos. Er ging in die Häuser, fotografierte Möbel und Gebrauchsgegenstände, die bunte Tracht, deren Stoffe von den Frauen selbst gewebt wurden, wunderschöne Flechtarbeiten und selbst die Schuhe, die teilweise aus Yakleder hergestellt wurden.
    Aber auch hier spürte man schon den Hauch einer alles verändernden Zivilisation. Die Jugend fuhr in die Kreisstadt, weil es dort Arbeit gab, die das Dreifache eines Bauernlohnes einbrachte. Vor allem die Mädchen, die mit vierzehn Jahren in einem feierlichen Zeremoniell die traditionelle Mosuo-Kleidung anlegen mußten und damit heiratsreif wurden, verließen das Dorf. Sie träumten von modischen Sachen und von dem freien, schönen Leben in den Städten, von dem sie manchmal in Zeitschriften, die sie nur selten bekamen, erfuhren. Ist das ein Leben da draußen, dachten die Jungen, direkt vor unserer Tür.
    Im Chinesischen heißt Mosuo ›Die das Webschiffchen schnurren lassen‹ – so liest es sich in den Schriftzeichen, erfuhr Rathenow. Aber die Mosuos sahen sich anders. Für sie bedeutete der Name, aus ihrer Stammessprache geboren, seit Urzeiten: ›Die in großen Familien Geborgenheit finden‹. Rathenow schien dieser Name passender für ein Volk zu sein, in dem das Leben von der Harmonie zwischen Mensch und Natur geprägt war.
    Bei den abendlichen Tanzen der Jungen um das große Feuer auf dem Festplatz sah Rathenow, daß schon viele Mädchen und Jungen Jeans und andere westliche Kleidung trugen: bedruckte Hemden, T-Shirts, weiße Baumwollsocken und ärmellose Männerjacken aus Jeansstoff. Man hatte diese Dinge aus der Stadt mitgebracht.

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