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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dachte er. In Afrika hast du Fladen aus getrockneten, gemahlenen Heuschrecken gegessen, und im Urwald von Borneo gab es ein Festessen aus gerösteten Raupen. Was ist dagegen gebutterter Tee?
    Rathenow verbeugte sich leicht vor der alten Frau, und sie antwortete mit einem Lächeln.
    »Jetzt sind wir aufgenommen«, sagte Liyun und atmete auf. »Keiner wird uns mehr belästigen dürfen. Sie können in aller Ruhe das Leben der Mosuos fotografieren und aufzeichnen. Die alte Frau wird auch für die Schlafplätze sorgen. Was sie sagt, muß getan werden.«
    Als es dunkel wurde, die Berge ringsumher mit ihren Schneespitzen matt im Mondlicht glänzten, das Wasser des Lugu-Sees schwarz schimmerte und der ›Berg der Löwin‹ im fahlen Licht wie die nährende Brust der Göttin Guanyin aussah, führte der Bürgermeister Rathenow und Liyun zu ihren Quartieren. Natürlich wurden sie getrennt untergebracht – Liyun in einem größeren Haus als Rathenow, und Ying wies man in eine Hütte, in der eine uralte Witwe wohnte, die keine Kinder geboren hatte und nun von den Nachkommen ihrer Schwestern lebte. Die Schwäger und Neffen sorgten für sie. Sie zogen ein schiefes Gesicht, als sie nun auch noch Wen Ying ernähren sollten. Sie wurden erst freundlich und umarmten Ying sogar, als er ihnen heimlich eine Flasche Mao Tai zusteckte – eine Kostbarkeit, denn die Mosuos tranken – und das auch nur als Krönung bei hohen Festtagen – den ›Solima‹, eine Art Federweißer, ein Gebräu aus Gerste, Enzian, Berglilie und Honig, das nach der Gärung wie halbfertiger Wein schmeckt. Ein echter Mao Tai – das ist für einen Mosuo pure Wonne.
    Und so kam es, daß man sich um Ying mehr kümmerte als um Rathenow und Liyun.
    Am nächsten Morgen, nach einem Frühstück aus Gerstenmehlsuppe, ›Zanba‹ genannt, und dem obligatorischen Butter-Tee, trafen sich Liyun und Rathenow in der Mitte des Dorfes auf dem Festplatz. Die Mosuos feiern gern. Der Tanz um ein Lagerfeuer ist so ziemlich das einzige Vergnügen, das sie kennen. Der Festplatz ist deshalb der Mittelpunkt des Dorfes. Manchmal kommen die Nachbarn zu ihnen, die Männer und Mädchen der Pumi, Yi, Naxi und Drung, manchmal auch die stillen Zang-Tibeter, die dann ihre Rasseln und Schlagbecken ertönen lassen – ein eintöniger, aber mitreißender Rhythmus, zu dem alle tanzen. Diese Feste sind so etwas wie ein Heiratsmarkt, der eine radikale Inzucht bei den Mosuos verhindert. Aber meistens sind es nur die Mädchen, die einem Mosuo schöne Augen machen. Die Männer der anderen Stämme werden sich hüten, ihr Männerrecht aufzugeben und sich einer Frau unterzuordnen. »Eine Mosuo-Frau?« werden sie ausrufen. »Gott möge mich davor beschützen. Sie ist zu stark, viel zu stark für einen Mann. Ich werde von ihr erdrückt.«
    »Fragen Sie nicht, wie ich geschlafen habe!« begrüßte Rathenow Liyun, die einen ausgesprochen fröhlichen Eindruck machte. »Auf einem zotteligen Yakfell auf einer mit Heu gestopften Matratze.«
    »Heu ist gesund. Man bekommt kein Rheuma.«
    »Stimmt.« Rathenow nickte mehrmals. »Man muß es so sehen … Sie haben recht, Liyun, wie so oft …«
    Von einer entfernteren Hütte kam Ying auf sie zu. Er trug eine Angel über der Schulter und einen Ledereimer in der Hand. Er war zufrieden mit sich und der Welt. Die Flasche Mao Tai hatte ihm im Nu Freunde gewonnen, und wenn er auch ihren Dialekt nicht verstand, spürte er, daß sie ihn mochten, sonst hätten sie ihm keine Angel geliehen. Es konnte aber auch heißen: Sorg allein für dein Essen! Fang Fische! Mutter wird sie dir kochen oder braten. Sei keine Ratte, die uns alles wegfrißt.
    Pfeifend ging er an Liyun und Rathenow vorbei und verschwand zwischen den roten Azaleenbüschen am Seeufer. Dafür tauchte der freundliche Chinese mit dem pockennarbigen Gesicht auf. Er hatte dem Bürgermeister Yang Tianming in einem langen Gespräch erklärt, daß die ›Langnase‹ ein berühmter Mann aus Deutschland sei, und da für Yang Deutschland kein Begriff war, ergänzte er: »Aus Europa. Weit, weit weg, über Gebirge und Meere. Einen ganzen Tag mit dem Flugzeug!« Das verstand Yang. Ab und zu flog eine Maschine aus Zhongdian über den See und die noch erhaltenen Wälder an den Berghängen, um zu kontrollieren, ob an den letzten großen Pinienwäldern der Region nicht Raubbau betrieben wurde. In den vergangenen Jahrzehnten hatte man rücksichtslos die Hügel kahlgeschlagen, um mit dem wertvollen Holz nicht nur Häuser zu bauen,

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