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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schweinetrog in den See, überwand die Wellen und rettete ihren Mann. Von da an baute man die Boote aus einem Baumstamm nach dem Muster eines Schweinetrogs. Es soll nie wieder ein Fischer im See ertrunken sein.
    Liyun saß reglos im Boot und blickte über den Lugu-See. Jetzt leuchtete der Tempel auf der kleinen Insel wie durchsichtiges Porzellan, die roten Berge flammten, das Wasser war blau und so durchsichtig, als sei es aus farbigem Glas geschliffen. Der ›Berg der Löwin‹ wurde überhaucht von einem rosa Schein, der langsam über den noch wolkenlosen Himmel glitt.
    Rathenow kletterte in das Boot und setzte sich neben Liyun. Sie blickte nicht auf, starrte nur weiter stumm über den See. Die Hände hatte sie in den Schoß gelegt und den Kopf etwas gesenkt. Auch Rathenow schwieg, er spürte den Zauber, spürte, wie diese grandiose Natur auch ihn überwältigte. Ab und zu warf er aus den Augenwinkeln einen Blick auf Liyun, und plötzlich sah er, daß Tränen über ihr starres, unbewegtes Gesicht rollten. Sie weinte, ohne sich zu rühren oder zu schluchzen.
    »Liyun –«, sagte Rathenow nach einer langen Zeit des Schweigens. »Liyun …«
    Sie antwortete nicht, Tränen rannen unablässig über ihr Gesicht.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie schüttelte den Kopf und schwieg weiter.
    »Warum weinen Sie?«
    »Es ist so schön …«, sagte sie ganz leise, als sei ihre Stimme nur ein Hauch. »Es ist so still, so friedlich, so nahe dem Himmel. Diese Einsamkeit der Schönheit, in die man sich hineinlegen kann, um alles zu vergessen. Wie klar das Wasser ist. Wie blau. Die Pfirsichblüten spiegeln sich in ihm, die Kamelien und Azaleen, die Lilien und Rosen, und wie ein Kristall glitzert der Tempel der Göttin. Muß man da nicht weinen …?«
    Er nickte, er verstand sie nur zu gut, denn ihm selbst fiel jetzt das Sprechen schwer. Er legte den Arm um ihre Schultern, und sie wehrte sich nicht, sondern neigte den Kopf zur Seite, drückte ihn in seine Halsbeuge, rückte nahe an ihn heran und schlang ihren Arm um seine Taille.
    So blickten sie gemeinsam schweigend über den Lugu-See und wußten, daß sich diese Minuten nie wiederholen würden. Aber er küßte sie nicht, obwohl ihr Mund jetzt so nahe neben seinem war … er blieb wie sie bewegungslos sitzen, spürte nur das leichte Zittern ihres Körpers, da sie immer noch weinte, und war unsagbar glücklich, sie an sich drücken zu können.
    Als die Sonne gesunken war, das Wasser des Sees schwarz wurde und der Tempel im Dämmern zu schweben schien, löste sie sich aus seiner Umarmung, wischte sich über die Augen, suchte in den Taschen ihrer Jacke und sagte dann mit völlig normaler Stimme: »Haben Sie ein Taschentuch? Ich habe keins bei mir.«
    »Natürlich. Bitte.« Er reichte ihr sein zusammengefaltetes Taschentuch, sie trocknete damit ihre Augen und gab es ihm zurück.
    »Danke«, sagte sie. »Gehen wir?«
    Er half ihr aus dem Boot, sie hakte sich bei ihm ein, und so gingen sie am Ufer zurück zum Dorf. Musikklänge wehten ihnen entgegen … Flöten, Zimbeln, Trommeln und Lauten; über dem Dorfplatz zuckte der Widerschein des Feuers, Stimmengewirr und Lachen empfing sie. Die Jugend aus den umliegenden Dörfern war zusammengekommen, um zu tanzen und zu singen. Das einzige Vergnügen, das man in dieser Einsamkeit hatte.
    »Tanzen wir?« fragte er.
    »Sie? Man wird sich auf die Erde werfen vor Lachen. Außerdem verlieren Sie Ihre Würde. Ein Hochgeehrter hüpft nicht herum wie ein Frosch.« Sie blieb stehen und legte die Hand auf seinen Arm. »Ich danke Ihnen …«
    »Wofür?«
    »Denken Sie darüber nach. Sie waren heute abend ein weiser Mann. Gute Nacht.«
    Sie wandte sich ab und ging zu dem Haus, das man ihr als Schlafstätte zugewiesen hatte.
    Liyun lag noch lange wach in ihrem Bett mit den selbstgewebten Decken. Nebenan hörte sie die Stimmen des Ehepaares, das Greinen eines Kindes, ab und zu ein kehliges Lachen, ein dumpfes, rhythmisches Klopfen und andere, eindeutige Liebesgeräusche.
    Liyun verschränkte die Arme hinter dem Nacken und starrte an die Holzdecke. Er hat sich anständig benommen, dachte sie. Jeder andere Mann hätte diese Minuten meiner Schwäche ausgenutzt und mich geküßt. Und ich hätte mich nicht gewehrt … sei ehrlich, Liyun, du hast sogar darauf gewartet. Als er den Arm um dich legte und dich an sich zog, hat es in dir gerufen: Tu es doch! Tu es doch! Spürst du denn nicht, daß ich will, daß du mich küßt? Aber er sitzt da, starrt wie ich auf den

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