Der Schwarze Mandarin
sondern es auch zu verfeuern.
»Und was will der hochgeehrte Fremde bei uns?« fragte Yang.
»Eure Kultur erforschen. Er will sehen, wie ihr lebt, was ihr sät und erntet, er will eure Musik hören, die Geschichte eures Volkes aufzeichnen, er will wissen, wie ihr wohnt und was ihr eßt – er will eben alles von euch wissen.«
»Und warum?«
»Er will darüber schreiben, damit andere Völker wissen, wie ihr lebt.«
»Wen interessiert denn das? Frage ich, wie er lebt?«
»Er kommt aus einer anderen Welt … und die soll staunen, daß es die Mosuos gibt. Keiner weiß, daß es euch gibt.«
»Das ist gut so. Wir wollen unsere Ruhe haben.«
»Yang Tianming, damit wird es vorbei sein, wenn der Flugplatz Lijiang in etwa drei Jahren eröffnet wird.«
»Es ist alles rätselhaft, alles unverständlich«, sagte Yang und schüttelte den Kopf. »Wer soll das begreifen? Hier ist doch nichts zu sehen.«
»Der Lugu-See ist ein Diamant.«
»Der See gehört uns, nicht den Fremden!«
»Eure Jugend denkt anders. Sie sieht die Neuzeit: Radio, Fernsehen, moderne Maschinen, Reisebusse, viel, viel Geld, das in ihre Hände fließt. Das Wirtschaftswunder der Städte wie Kunming wird auch nach hier kommen und alles verändern, was seit Jahrhunderten vor sich hin geträumt hat. Yang, du kannst es nicht aufhalten.«
»Unsere Frauen und Mütter können es.«
»Im Gegenteil – sie suchen Männer für ihre Töchter. Die Welt wird sich schneller drehen und viele Traditionen hinwegfegen. Ich rate dir, Yang Tianming, gib dem Fremden alles, was er will.«
Shens Mann aus Zhongdian – er hieß Wu Shouzhi – machte eine alles umfassende Handbewegung über Dorf, See, Wälder und Felsen. In der Morgensonne leuchteten sie rötlich, kahl und von der Sonne verbrannt.
»Sie können sich alles genau ansehen, fotografieren, was Sie wollen«, sagte er zu Rathenow. »Ich habe dem Bürgermeister alles erklärt.«
Liyun blickte ihn erstaunt an. »Woher wissen Sie, was wir hier wollen?«
»Das ist nicht schwer zu erraten. Wenn ein Europäer allein mit einer Dolmetscherin bei den Mosuos auftaucht und länger bleiben will, kommt er nicht wegen Gerstensuppe und Pfirsichkompott. Habe ich recht?«
Liyun nickte und stieß Rathenow an. Ihr Gesicht war verschlossen.
»Der Mann gefällt mir nicht«, sagte sie leise auf deutsch.
»Daß er die Pocken hatte, dafür kann er nicht.«
»Das meine ich nicht. Ich spüre, daß etwas Unheimliches von ihm ausgeht.«
»Er ist doch freundlich.«
»Aber seine Augen sind tückisch. Ich mag ihn einfach nicht.«
»Sie müssen ihn ertragen, Liyun. Er ist die einzige Verbindung zu den Mosuos. Er spricht ihre Sprache. Ohne ihn werden wir es viel schwerer haben.«
»Wir müssen vorsichtig sein.«
»Haben Sie Angst vor dem Mann?«
»Angst? Nein. Das kann man so nicht nennen … Ich habe das Gefühl, wenn er mich ansieht, verfolgt er mich. Wir wissen nicht einmal, wie er heißt. Ein anständiger Mensch stellt sich vor.«
»Dann fragen Sie ihn doch.«
»Das ist gegen die Sitte. Ein Mann stellt sich zuerst vor, nicht ein Mädchen.«
Wu hatte bis jetzt still zugehört, ohne etwas zu verstehen. Jetzt fiel er ein: »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Heute nicht. Herr Rathenow wird einige Fotos machen und mit seinem Tonband Mosuo-Gesänge aufnehmen.«
»Wenn ich dabei übersetzen könnte …«
»Musik braucht keinen Dolmetscher!« sagte Liyun deutlich abweisend. »Ich danke Ihnen, Herr …«
»Wu Shouzhi. Oh, das hatte ich vergessen. Können Sie mir verzeihen, Frau Wang?«
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
»Ich habe gehört, daß Ihr Fahrer Sie so ansprach.«
Wu entfernte sich wieder. Liyun hielt Rathenow an der Hand fest, als er gehen wollte.
»Er kennt meinen Namen!«
»Na und?« fragte Rathenow ahnungslos.
»Er behauptet, Ying habe mich so gerufen.«
»Damit ist das doch geklärt.«
»Eben nicht … Ying nennt mich immer nur Liyun, nie Frau Wang.«
»Mein Gott, Liyun … hier ist es so schön und friedlich, Sie sehen Gespenster.« Er kontrollierte seine Kamera und fotografierte eine Frau, die tief gebückt ein dickes Reisigbündel über den Weg schleppte. »Womit werden Sie sich beschäftigen?«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Was tun Sie, während ich hier fotografiere, in die Häuser gehe, mir alles ansehe und Notizen mache?«
Sie sah ihn an, als habe er plötzlich in einer anderen Sprache gesprochen. Ihr verständnisloser Blick irritierte ihn. »Ich begleite Sie natürlich«, sagte sie.
»Das
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