Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe
sie gar durch einen siegreichen Feind entrissen wurde! Er war geschändet, unter Umständen für sein ganzes Leben, wenigstens aber so lange, bis er sich eine andre, eine neue errungen oder die entrissene wieder zurückerobert hatte. Ohne Medizin war er ein im Stamm ganz unmöglich gewordener Mann; sogar seine Verwandten mieden ihn, und er mußte die Glieder seiner Familie fliehen, denn jeder, der mit ihm in Berührung kam oder gar mit ihm verkehrte, wurde dadurch ebenso ehrlos wie er selbst.
Man kann also denken, welche Strafe, welch ein ungeheurer Verlust es für den ›schwarzen Mustang‹ war, wenn ihm seine Medizin genommen wurde! Die Schande, welche er dadurch erlitt, wurde überdies durch den Umstand nicht nur verdoppelt, sondern geradezu verhundertfacht, daß er an Stelle der Medizin die Zöpfe der Chinesen erhalten sollte. Es war dies nicht nur dasselbe, sondern noch viel, viel schlimmer, als wenn zum Beispiel bei uns einem hohen Offizier, einem General, die Epauletten heruntergerissen und an deren Stelle Hasenohren oder Hundeschwänze angeheftet würden. Dieser Offizier würde nur für die Zeit dieses Lebens blamiert sein, während der ›schwarze Mustang‹ das Recht verlor, in die ewigen Jagdgründe einzugehen. Darum wurde, als Old Shatterhand seine Verkündigung ausgesprochen hatte, keine Antwort gehört, sondern es herrschte die tiefe Stille gespanntester Erwartung, ob er wirklich ernst machen und dem Häuptling die Medizin nehmen werde. Aller Augen richteten sich auf ihn.
Er winkte dem Hobble-Frank zu, die Zöpfe an die stehengebliebene Strähne zu befestigen, und trat, als dies geschehen war, zu dem Häuptling heran, dessen Medizinbeutel ihm an einer um den Hals geschlungenen Schnur auf der Brust hing. Er schnitt die Schnur entzwei und band sich selbst die Medizin um den Hals, indem er so laut, daß alle es hören konnten, sagte:
»So, indem ich diesen Beutel mir um den Hals hänge, ist Tokvi-Kava, der Häuptling der Komantschen, aufgehängt worden und hat nicht nur sein Leben, sondern auch seine Seele verloren, denn hier zu meinen Füßen liegt nicht mehr der ›schwarze Mustang‹, sondern Mungwi Ekknan Makik, der gelbe Hund mit den zwei Chinesenzöpfen. Ihr habt es alle gesehen und gehört. Howgh!«
Was nun folgte, spottet jeder Beschreibung. Die Weißen erhoben ein Jubelgeschrei, welches gar nicht enden wollte; die Roten aber brüllten und heulten in Tönen, welche unbegreiflich waren, weil menschliche Kehlen derselben eigentlich gar nicht fähig waren. Sie zerrten und rissen an ihren Banden, sie schnellten sich empor, um sie zu zersprengen, sie wälzten sich hin und her, obgleich sie zu zweien zusammengebunden waren. Dazu brachen sie gegen ihre Sieger in Verwünschungen und Flüche aus, welche das Schlimmste und Fürchterlichste enthielten, was man einem Feinde anthun kann. Old Shatterhand und Winnetou wurden in Ausdrücken beleidigt und verhöhnt, welche von ihnen, obgleich sie ja schon oft mit Feinden zu thun gehabt hatten, noch nie gehört worden waren. Die Weißen hatten vollauf zu thun, die trotz ihrer Fesseln wie Fische hin und her schnellenden Indianer am Boden festzuhalten. Der ›schwarze Mustang‹ gebärdete sich geradezu wie ein Tobsüchtiger. Seine körperliche und geistige Ermattung hatte sich in das gerade Gegenteil verwandelt. Er schien die Kräfte von zehn Menschen in sich zu vereinigen, denn fast so viele Bahnarbeiter gehörten dazu, ihn festzuhalten, und den Geifer von hundert Schlangen zu besitzen, denn die giftigen Beschimpfungen, welche er gegen die beiden Genannten ausspritzte, wollten gar kein Ende nehmen; sie waren so arg, daß sie selbst dem sonst so kalten und unberührbaren Winnetou zu viel wurden. Er befahl den beiden Timpes, dem Widerwärtigen einen Knebel in den Mund zu stecken, und sie führten diese Weisung auf der Stelle aus. Als dann den Roten nach und nach der Atem auszugehen anfing, sagte der Apatsche mit einer Stimme, die an jedes Ohr drang, obgleich sie nicht erhoben war:
»Winnetou hat geglaubt, daß die Söhne der Komantschen auch Menschen seien; ihr Toben und Zischen aber hat ihm bewiesen, daß er sich im Irrtum befand. Er wollte sie als gefangene Krieger behandeln, welche gegen die Bleichgesichter zogen, weil es ihnen befohlen worden war; nun sie aber den Saft giftiger Kröten gegen ihn ausspritzten, wird er sie als Kröten behandeln und dafür sorgen, daß ihnen dieser Saft genommen wird, damit sie sich keinem Manne wieder nähern, um ihn
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