Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
das ohnehin getan», erklärt Riesenfeld heuchlerisch.
«Das weiß ich», sage ich. «Aber wozu wollen Sie schreiben? Schreiben hilf nie. Außerdem fahren Sie doch heute abend weg. Verschieben Sie die Sache, bis Sie zurückkommen.»
Riesenfeld trinkt seinen Korn aus. «Es mag Ihnen komisch vorkommen – aber Sachen solcher Art verschiebt man höchst ungern.»
In diesem Augenblick tritt Lisa aus ihrer Haustür. Sie trägt ein enganliegendes schwarzes Kostüm und Schuhe mit den höchsten Absätzen, die ich je gesehen habe. Riesenfeld erspäht sie zur gleichen Zeit wie ich. Er reißt seinen Hut vom Tisch und stürmt hinaus. «Dies ist der Augenblick!»
Ich sehe ihn die Straße hinunterschießen. Den Hut in der Hand, wandert er respektvoll neben Lisa her, die sich zweimal umsieht. Dann verschwinden beide um die Ecke. Ich wundere mich, wie das ausgehen wird. Georg Kroll wird es mir sicher berichten. Möglich, daß der Glückspilz dabei noch ein zweites Denkmal in schwedischem Granit herausholt.
Draußen kommt der Tischler Wilke über den Hof. «Wie wäre es mit einer Sitzung heute abend?» ruf er durchs Fenster.
Ich nicke. Ich habe schon erwartet, daß er das vorschlagen würde. «Kommt Bach auch?» frage ich.
«Klar. Ich hole gerade Zigaretten für ihn.»
Wir sitzen in der Werkstatt Wilkes zwischen Hobelspänen, Särgen, Blumentöpfen mit Geranien und Leimtöpfen. Es riecht nach Harz und frischgeschnittenem Tannenholz. Wilke hobelt den Deckel des Zwillingssarges zurecht. Er hat sich entschlossen, eine Blumengirlande umsonst dreinzugeben, sogar vergoldet, mit Blattgoldersatz. Wenn er interessiert ist, ist der Verdienst ihm gleichgültig. Und hier ist er interessiert.
Kurt Bach sitzt auf einem schwarzlackierten Sarg mit falschen Bronzebeschlägen; ich auf einem Prachtstück aus Natureiche, matt gebeizt. Wir haben Bier, Wurst, Brot, Käse und sind entschlossen, mit Wilke die Geisterstunde zu überstehen. Der Sargtischler wird nämlich gewöhnlich zwischen zwölf und ein Uhr nachts melancholisch, schläfrig und ängstlich. Es ist seine schwache Stunde. Man sollte es nicht glauben, aber er fürchtet sich dann vor Gespenstern, und der Kanarienvogel, den er in einem Papageienkäfig über seiner Hobelbank hängen hat, ist um diese Zeit nicht genug Gesellschaf für ihn. Er ist dann verzagt, spricht von der Zwecklosigkeit des Daseins und greif zum Schnaps. Wir haben ihn schon öfer morgens besoffen auf einem Bett von Hobelspänen schnarchend in seinem größten Sarg gefunden, mit dem er vor vier Jahren elend hereingefallen ist. Der Sarg war für den Riesen vom Zirkus Bleichfeld angefertigt worden, der plötzlich bei einem Gastspiel in Werdenbrück nach einer Mahlzeit von Limburger Käse, harten Eiern, Mettwurst, Kommißbrot und Schnaps gestorben war – scheinbar gestorben, denn während Wilke die Nacht durch, allen Gespenstern zum Trotz, an dem Sarg für den Riesen schufete, hatte der sich plötzlich mit einem Seufzer vom Totenbett erhoben und anstatt, wie es anständig gewesen wäre, Wilke auf der Stelle zu verständigen, eine halbe Flasche Korn ausgesoffen, die noch übriggeblieben war, und sich schlafen gelegt. Am nächsten Morgen behauptete er, kein Geld zu haben und außerdem keinen Sarg für sich bestellt zu haben, ein Einwand, gegen den nichts zu machen war. Der Zirkus zog weiter, und da niemand den Sarg bestellt haben wollte, blieb Wilke damit sitzen und bekam dadurch für einige Zeit eine etwas bittere Weltanschauung. Besonders ärgerlich war er auf den jungen Arzt Wüllmann, den er für alles verantwortlich machte. Wüllmann hatte zwei Jahre als Feldunterarzt gedient und war dadurch abenteuerlich geworden. Er hatte so viele halbtote und dreivierteltote Muschkoten im Lazarett zur Behandlung gehabt, ohne daß ihn irgend jemand für ihren Tod oder ihre schiefgeheilten Knochen verantwortlich machte, daß er zum Schluß einen Haufen interessante Erfahrungen sammeln konnte. Deshalb war er nachts noch einmal zu dem Riesen geschlichen und hatte ihm irgendeine Spritze verabreicht – er hatte öfers im Lazarett gesehen, daß Tote wieder erwacht waren –, und der Riese war auch prompt wieder ins Leben zurückgewandert. Wilke hatte seitdem, ohne daß er es wollte, eine gewisse Abneigung gegen Wüllmann, die dieser später auch nicht dadurch aus der Welt schaffen konnte, daß er sich wie ein vernünfiger Arzt benahm und die Hinterbliebenen seiner Fälle zu Wilke schickte. Für Wilke war
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