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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Sterbenden im Felde den letzten Trost gespendet – das scheinen Sie völlig vergessen zu haben.»
      «Sie hätten es nicht dazu kommen lassen sollen! Warum haben Sie nicht gestreikt? Warum haben Sie Ihren Gläubigen den Krieg nicht verboten? Das wäre Ihre Aufgabe gewesen. Aber die Zeiten der Märtyrer sind vorbei. Dafür habe ich of genug, wenn ich zum Feldgottesdienst mußte, die Gebete um die Siege unserer Waffen gehört. Glauben Sie, daß Christus für den Sieg der Galiläer gegen die Philister gebetet hätte?»
      «Der Regen», erwidert Bodendiek gemessen, «scheint Sie ungewöhnlich emotionell und demagogisch zu machen. Sie wissen anscheinend schon recht gut, daß man auf geschickte Weise, mit Auslassungen, Umdrehungen und einseitiger Darstellung, alles in der Welt angreifen und angreifar machen kann.»
      «Das weiß ich. Deshalb studiere ich ja Geschichte. Man hat uns in der Schule und im Religionsunterricht immer von den dunklen, primitiven, grausamen vorchristlichen Zeiten erzählt. Ich lese das nach und finde, daß wir nicht viel besser sind – abgesehen von den Erfolgen in Technik und Wissenschaf. Die aber benutzen wir zum größten Teil nur, um mehr Menschen töten zu können.»
      «Wenn man etwas beweisen will, kann man alles beweisen, lieber Freund. Das Gegenteil auch. Für jede vorgefaßte Meinung lassen sich Beweise erbringen.»
      «Das weiß ich auch», sage ich. «Die Kirche hat das auf das brillanteste vorgemacht, als sie die Gnostiker erledigte.»
      «Die Gnostiker! Was wissen denn Sie von denen?» fragt Bodendiek mit beleidigendem Erstaunen.
      «Genug, um den Verdacht zu haben, daß sie der tolerantere Teil des Christentums waren. Und alles, was ich bis jetzt in meinem Leben gelernt habe, ist, Toleranz zu schätzen.»
      «Toleranz –» sagt Bodendiek.
      «Toleranz!» wiederhole ich. «Rücksicht auf den anderen. Verständnis für den anderen. Jeden auf seine Weise leben lassen. Toleranz, die in unserm geliebten Vaterlande ein Fremdwort ist.»
      «Mit einem Wort, Anarchie», erwidert Bodendiek leise und plötzlich sehr scharf.
      Wir stehen vor der Kapelle. Die Lichter sind angezündet, und die bunten Fenster schimmern tröstlich in den wehenden Regen. Aus der offenen Tür kommt der schwache Geruch von Weihrauch. «Toleranz, Herr Vikar», sage ich. «Nicht Anarchie, und Sie wissen den Unterschied. Aber Sie dürfen ihn nicht zugeben, weil Ihre Kirche ihn nicht hat. Sie sind alleinseligmachend! Niemand besitzt den Himmel, nur Sie! Keiner kann lossprechen, nur Sie! Sie haben das Monopol. Es gibt keine Religion außer der Ihren! Sie sind eine Diktatur! Wie können Sie da tolerant sein?»
      «Wir brauchen es nicht zu sein. Wir haben die Wahrheit.»
      «Natürlich», sage ich und zeige auf die erleuchteten Fenster. «Das dort! Trost für Lebensangst. Denke nicht mehr; ich weiß alles für dich! Die Versprechung des Himmels und die Drohung mit der Hölle – spielen auf den einfachsten Emotionen – was hat das mit der Wahrheit zu tun, dieser Fata Morgana unseres Gehirns?»
      «Schöne Worte», erklärt Bodendiek, längst wieder friedlich, überlegen und leicht spöttisch.
      «Ja, das ist alles, was wir haben – schöne Worte», sage ich, ärgerlich über mich selbst. «Und Sie haben auch nichts anderes – schöne Worte.»
      Bodendiek tritt in die Kapelle. «Wir haben die heiligen Sakramente –»
      «Ja –»
      «Und den Glauben, der nur Schwachköpfen, denen ihr bißchen Schädel Verdauungsbeschwerden macht, als Dummheit und Weltflucht erscheint, Sie harmloser Regenwurm im Acker der Trivialität.»
      «Bravo!» sage ich. «Endlich werden auch Sie poetisch. Allerdings stark spätbarock.»
      Bodendiek lacht plötzlich. «Mein lieber Bodmer», erklärt er. «In den fast zweitausend Jahren des Bestehens der Kirche ist schon aus manchem Saulus ein Paulus geworden. Und wir haben in dieser Zeit größere Zwerge gesehen und überstanden als Sie. Krabbeln Sie nur munter weiter. Am Ende jedes Weges steht Gott und wartet auf Sie.»
      Er verschwindet mit seinem Regenschirm in der Sakristei, ein wohlgenährter Mann im schwarzen Gehrock. In einer halben Stunde wird er, phantastischer gekleidet als ein Husarengeneral, wieder heraustreten und ein Vertreter Gottes sein. Es sind die Uniformen, sagte Valentin Busch nach der zweiten Flasche Johannisberger, während Eduard Knobloch in Melancholie und Mordgedanken versank, nur die Uniformen. Nimm ihnen die

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