Der Schwarze Papst
Sandro merkte, dass Angelos Kümmernis nichts mit dem Öffnen von Pinettos Brief oder überhaupt mit irgendwas zu
tun hatte, was er gerade zur Sprache gebracht hatte. »Was gibt es sonst noch? Ist es wegen dem Ort, zu dem wir gehen? Möchtest du lieber nicht mitkommen?«
Sandro war nicht auf dem Weg zum Collegium, wo eigentlich genug Arbeit wartete. Da man jetzt den Zeitpunkt der Vergiftung kannte, galt es, den Kreis der Verdächtigen einzuengen, alle Fakten und mögliche Motive zusammenzutragen, kurz, eine Besprechung mit Forli und Angelo abzuhalten. Zudem mussten der Schüler Tilman Ried sowie Luis de Soto noch befragt werden. Aber Sandro wollte zuvor in Giovannas Wohnung gehen, denn er hatte einen Verdacht …
»Nein«, sagte Angelo. »Nein, das ist es nicht, Exzellenz. Es macht mir nichts aus, Giovannas Wohnung zu betreten. Was man ihr angetan hat, ist schrecklich, aber gerade darum möchte ich alles tun, um ihren Mörder zu finden.«
»Nun, dann … Hat es etwas mit Antonia zu tun?«
»Nein. Nicht direkt jedenfalls.«
»Angelo, wir haben keine Zeit für Ratespiele. Sag bitte, was dir zu schaffen macht. Andernfalls gehen wir weiter.«
»Es ist - es geht um diesen Mann.«
»Welchen Mann?«
»Den, der gestern in Eurer Begleitung war.«
»Wann?«
»Gestern Abend. Der Mann, der Euch und Signorina Bender begleitet hat. Ich habe ihn zufällig gesehen, als ich in Eurem Quartier nachschauen wollte, ob Ihr noch etwas benötigt. Ich hatte Euch kommen hören und …«
»Ja, Angelo, komm bitte zum Punkt.«
»Ihr kennt diesen Mann?«
»Natürlich. Er heißt Milo.«
»Und Signorina Bender kennt ihn auch?«
»Kann man so sagen.« Sandro hielt es für überflüssig, seinem Diener die Situation zu erklären.
»Und - kennt sie ihn näher?«
»Angelo, erinnerst du dich, was ich gerade über den Punkt sagte?«
»Gut, gut, Exzellenz, ich wollte nicht indiskret werden.«
»Du bist strammen Schrittes auf dem Weg dorthin.«
»Ich verstehe. Also, dieser Mann, den Ihr Milo nennt, den habe ich schon einmal gesehen.«
»Inwiefern ist das wichtig?«
»Insofern, als … Exzellenz, ich weiß, ich strapaziere Eure Geduld.«
»Sie ist heute größer denn je, und doch, das gebe ich zu, stelle ich fest, dass ihre Ausdehnung sich langsam dem Äußersten nähert.«
»Dennoch bitte ich Euch, das, was ich gleich sagen werde, als Beichte zu betrachten. Nein, falsch ausgedrückt, es nicht nur als solche zu betrachten - es ist eine Beichte.«
Eine Beichte auf offener Straße war mal etwas anderes. Zwar gab es bisher keine verbindlichen Regeln bezüglich des Ortes, an dem das Sakrament der Beichte und Absolution vorgenommen wurde, und erst das zurzeit tagende Konzil von Trient war dabei, den geschlossenen Beichtstuhl in der Kirche vorzuschreiben, aber eine Gasse als Beichtstuhl war wirklich ungewöhnlich, und der Zeitpunkt war es auch.
Angelo hatte bisher noch nicht bei Sandro gebeichtet, was ihm auch lieb war, denn es war schwierig, im alltäglichen Umgang zu vergessen - beziehungsweise so zu tun, als hätte man es vergessen -, was einem in der Beichte anvertraut worden war. Sandro hatte vor zwei Monaten dem Papst eine Beichte abgenommen, und was er dabei erfahren hatte, floss heute noch in die Beurteilung seines Vorgesetzten ein. Sandro war daher immer zu Beichtvätern gegangen, die entweder so alt waren, dass man sicher sein konnte, seine Geheimnisse bald im Jenseits zu wissen, oder die sich auf der Durchreise befanden. Da bei den
Jesuiten - im Gegensatz zu vielen anderen Orden - kein Bruder zur Beichte genötigt wurde, war es möglich gewesen, so lange zu warten, bis der passende Beichtvater vorbeikam.
Nun aber wollte sein Diener beichten, und Sandro glaubte, dass dieses Bekenntnis, was immer es sein mochte, sein Verhältnis zu Sandro verändern würde. Da er jedoch am heutigen Tag von einem Elan beseelt war, der jedwede Bedenken wie hässliche Gnome verscheuchte, schloss er Frieden mit Angelos Vorhaben.
»Nun, Angelo, wenn es jetzt sein soll, dann lass uns dort hinüber in den Schatten gehen.«
»Ihr seid nicht verärgert?«
»Was wäre ich für ein Geistlicher, wenn ich darüber verärgert wäre?«
Sie traten in den Schatten eines Hauses, und Sandro schlug das Kreuz in der warmen, stickigen Luft. »Ich höre dir zu, mein Sohn.«
Angelo trat einen Schritt näher. Er beugte sich vor, wich aber wieder zurück.
Als Sandro Angelos Blick suchte, bemerkte er, dass Angelo über Sandros Schultern hinwegschaute, zu einem
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