Der Schwarze Papst
zögernd, ob jetzt der richtige Moment war, sie zu berühren.
»Sind deine Tränen ein gutes Zeichen oder ein schlechtes?«
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Hast du nicht gesagt, du bist nicht mehr dumm?«
Er lächelte, was sie nicht sehen konnte, und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Weniger dumm, sagte ich. Ein kleiner Rest Dummheit bleibt bei jedem Mann übrig. Ich schätze, dass Frauen das mögen.«
Sandro vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, das ihren Nacken bedeckte.
Sie trocknete ihre Wangen. »Ich sagte dir, du sollst heute in keinen Krieg mehr ziehen, und was machst du? Gehst zum Großangriff über.«
»Ich hatte keine Wahl. Meine Reiterei war schon auf halbem Weg.«
»Mit welchem Ziel? Zum Zentrum vorzustoßen?«
»Oho! Man merkt dir deine Bekanntschaft mit Signora A an. Dabei hättest du diesen Nachschlag Frivolität nicht nötig gehabt. Eher schon ich. Aber ich kann ab jetzt ja bei dir in die Lehre gehen, oder, Antonia?«
Sie sah ihn an.
Und dann, ganz plötzlich, schmiegte sie sich an ihn, und er zog sie noch näher zu sich heran, hielt ihren Kopf fest, küsste ihre Schläfe, ihre Wange, schmeckte das Salz der getrockneten Tränen, küsste ihre Lippen, drang in ihren Mund ein, und sie ließ ihre Hände über seinen Rücken gleiten, ihre Finger gruben sich in seinen Nacken, packten seine Haare, zerrten an seiner Soutane. Wie Wahnsinnige fielen sie übereinander her, und das waren sie tatsächlich, wahnsinnig vor zu viel Liebe.
»Ich habe so lange darauf gewartet«, sagte sie. »So lange, dass ich weinen musste.«
»Ich weiß.«
»Und dass ich nicht länger warten kann.«
Ihre Blicke trafen sich. Was ihnen beiden durch den Kopf ging, war unvernünftig, blasphemisch, sogar gefährlich. Sie befanden sich mitten im Vatikan. Aber das war ihnen egal. Er zog sich so schnell seine Soutane über den Kopf, dass sie mit ihren umständlich verschnürten Kleidern kaum nachkam. Doch dieses Problem kannten sie bereits, er von früher, sie seit jeher.
Er blies die Kerzen aus, und als er zurückkam, standen sie einen Moment lang wie Adam und Eva voreinander und betrachteten ihre nackten Körper, bevor sie sich liebten.
Wie jeder Verbrecher, der etwas taugte, kannte Milo sein Revier in- und auswendig, jeden Baum, jedes Haus und auch jeden Schatten, ob am Tage oder in mondhellen Nächten wie dieser. Der schwache Schatten hinter der letzten Ecke zum Teatro gehörte nicht dorthin, und die Umrisse, die Milo schon aus einiger Entfernung wahrnahm, deuteten auf einen Menschen.
Das war nicht ungewöhnlich, denn in dieser Gegend standen immerzu Männer hinter Ecken, um Geschäfte abzuwickeln. Sie drückten sich allerdings nicht an Hauswände, wenn sich jemand näherte, der ihnen nichts tun würde - genau das aber tat der Mann.
Milo ging ganz normal weiter, weder verlangsamte noch beschleunigte er seinen Schritt. Kurz bevor er vor der Ecke ankam, ballte er seine rechte Faust und ließ sie in genau dem Moment mit aller Kraft nach vorn schnellen, als er sah, dass der Schatten sich bewegte und der Mann sich aus der Deckung herauswagte. Milos Faust traf den Mann mit voller Wucht ins Gesicht, sodass er in der schmalen Gasse gegen eine Wand prallte und wie ein nasser Sack zu Boden fiel.
Milo sah den Dolch, der dem Mann aus der Hand geglitten war. Er zückte seinen eigenen Dolch und setzte sich auf die teigige, massige Brust des Unbekannten.
Das war leichtes Spiel gewesen, dachte er und freute sich sogar ein bisschen über diesen einfachen Sieg an einem ansonsten erfolglosen Tag. Dann erst erkannte Milo, auf wem er saß, wer ihn hatte umbringen wollen. Die ganze Wut, die sich in den letzten Stunden nach der Ermordung Lellos und nach der Erkenntnis, dass Antonia ihm nicht gehörte, aufgestaut hatte, brach aus ihm hervor. Entgegen seiner Art, erst nachzudenken, bevor er etwas Bedeutsames unternahm, schlug er blind auf den noch benommenen Massa ein, und irgendwann nach einem der Schläge, als er innehielt, stellte Milo fest, dass Massa nicht mehr lebte.
Vielleicht war Massa schon tot zu Boden gegangen, nachdem sein Kopf gegen die Wand geprallt war. Vielleicht hatte sein Herz versagt.
Esel, dachte Milo, stand auf und trat gegen den Leichnam bei jedem Wort, das ihm in den Sinn kam. Dilettant. Stümper. Fettwanst. Feige Ratte. Milo war nicht der Typ für Schimpfwörter,
er gebrauchte sie gewöhnlich nur, wenn er sie nicht ganz ernst meinte. Heute meinte er sie ernst und sprach sie mit der Inbrunst heiliger
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