Der Schwarze Papst
er sie auch gelesen. Mit wem sitzt Miguel Rodrigues im Moment zusammen, kurz nachdem er von seinem interessanten Ausflug zurückgekehrt ist?«
»Luis de Soto«, erinnerte Angelo.
»So ist es«, sagte Forli leidenschaftlich. »Dreimal Luis de Soto. Erstens: Er ist völlig skrupellos, was die Erreichung seiner Ziele angeht - wir haben erlebt, wie er in Trient eine ganze
Stadt seiner Eitelkeit opfern wollte, Carissimi. Zweitens: Er hatte die Gelegenheit, das Geld im Armarium in der Sakristei zu verstecken, ohne dessen Entdeckung fürchten zu müssen, da er gestern und heute die Messe gelesen und demnach als Einziger das Armarium geöffnet hat. Drittens: Miguel Rodrigues, der Geldbote, ist sein Assistent. Viertens: Er hat kein Alibi für die Tatzeit, saß in seinem Kämmerlein über Büchern, keiner hat ihn zwischen der fünften Stunde und dem Beginn der Messe gesehen. Fünftens: Er hatte genügend Möglichkeiten, Wein ins Collegium zu schmuggeln, zum Beispiel in einer Kiste mit Lehrbüchern oder dergleichen. Sechstens: Er ist ein Ekel. Siebtens: Er ist unser Hauptverdächtiger, und deswegen müssen wir endlich über ihn reden.«
»Ihr habt alles Nötige wunderbar zusammengefasst, Forli. Alles richtig.«
»Das ist doch mal ein Wort. Dann ist der nächste Schritt, nicht mehr nur über ihn , sondern mit ihm zu reden.«
»Immer mit der Ruhe.«
»Verdammt, Carissimi!« Forlis Aufschrei und die geballte Faust offenbarten allerlei unterschiedliche Gefühle: Enttäuschung, Unverständnis, Verärgerung, aber auch eine Portion Tadel. Forli hütete sich, auszusprechen, was er dachte - vielleicht wehrte er sich auch noch gegen den Gedanken -, aber in seinen Blicken und Gesten schwang der Vorwurf der Feigheit mit. Und tatsächlich war Sandro von der ersten Stunde der Ermittlung an seinem ehemaligen Freund und Förderer geflissentlich aus dem Weg gegangen. Statt ihn anzugreifen, hatte er Miguel Rodrigues angegriffen. Jeden anderen hatte Sandro verhört, und das gab Luis eine Bedeutung, die Sandro ihm eigentlich absprach.
Gewiss, Sandro konnte zur Rechtfertigung seiner Vorsicht den Papst anführen, der ihn unmissverständlich gewarnt hatte, sich mit Luis anzulegen. Zu Recht! Bereits der Angriff gegen
Miguel Rodrigues sowie ein paar harmlose Verstöße gegen die Ordensregel des Gehorsams hatten dazu geführt, dass Luis gegen ihn vorging, indem er ihn beim Pater General angeschwärzt hatte. Gestern Abend war sein Zimmer durchsucht worden, und es war unklar, wie er darauf reagieren würde. Luis war ein mächtiger Gegner, der sich gut mit Ignatius von Loyola stellte, über den Orden hinaus einen Ruf als Mann der Zukunft genoss und dem die Erreichung höchster Ämter zugetraut wurde. Sandro hatte bei einer früheren Ermittlung schon einmal den Fehler begangen, persönlichen Antipathien nachzugeben, was ihn an den Rand des Abgrunds geführt hatte.
Sandro fragte sich, ob er nicht insgeheim froh war, eine gute Entschuldigung für seine Vorsicht zu haben, ob er nicht Luis auch deswegen aus dem Weg ging, weil er jene an Luis verschenkte Episode seines Lebens ein für alle Mal hinter sich lassen wollte. Er war gerade dabei, seine Zukunft einzurichten. Da störte diese Spukgestalt aus einer Vergangenheit, mit der er abschließen wollte.
»Ich sage ja nicht«, erwiderte Sandro dem erzürnten Hauptmann, »dass Luis tabu für uns ist. Aber er ist ein Meister der Verdrehung, das habe ich als sein Assistent oft genug erlebt, und wenn wir ihn verhören, dann erst, wenn wir hieb- und stichfeste Beweise haben. Bisher haben wir Mutmaßungen, Annahmen und Möglichkeiten, die er uns wie einen Ball mit doppelter Wucht zurückschlagen kann. Und vor allem: Wenn wir ihn auf das Haus in der Via Pace ansprechen, kann er einerseits alles abstreiten und ist andererseits vorgewarnt.«
»Mit anderen Worten«, sagte Forli, »wir drehen Däumchen.«
»Mit anderen Worten«, sagte Sandro, »ich sehe mir dieses ominöse Haus einmal näher an.«
Julius war beunruhigt. Wo war Massa abgeblieben? Der Kammerherr war, was seine Arbeit betraf, eine Wassermühle von
monotoner Zuverlässigkeit. Soeben jedoch war Julius gemeldet worden, dass man Massa vermisste. Er war in seinen Amtsräumen nicht erschienen, und sein Diener sagte, Massas Bett sei unbenutzt.
»Es ist Zeit für die wöchentliche Audienz der Bittsteller, Eure Heiligkeit.«
Julius ließ sich entsprechend einkleiden. Dafür musste er nicht mehr tun, als still stehen zu bleiben, gelegentlich die Arme
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