Der Schwarze Papst
fehlten, und Julius versprach ihr, dass zwei Ordensleute sie in den nächsten Tagen abholen und in einem Wagen auf die Reise nach Santiago de Compostela mitnehmen würden. Doch diese Gnadenerweise, auf die er sich unter normalen Umständen gefreut und von denen er Sandro stolz erzählt hätte, traten vollständig in den Hintergrund, waren lediglich Kulisse, damit es nicht auffiele, wenn er denjenigen, um den es ihm eigentlich ging, vor seinen Thron bestellte. Milo hatte, ohne ein Wort zu sprechen und einen Finger zu rühren, Julius’ gute Tat zu einer Farce gemacht.
»Was ist dein Begehren?«, fragte er Milo und hoffte, dass man das Zittern in seiner Stimme nicht hörte.
Milo übergab dem Protokollbeamten einen Brief, und dieser übergab ihn Julius.
Darauf stand: An Seine Heiligkeit Julius III., Bischof von Rom, Diener der Diener Christi. Julius entfaltete den Brief. Er enthielt nur zwei kurze Sätze: Ich muss Euch dringend sprechen. Es ist auch in Eurem eigenen Interesse.
Julius faltete das Papier wieder zusammen und verstaute es im Ärmel seines Talars.
»Der Bittsteller wünscht, die Beichte bei Uns persönlich abzulegen. Wir gewähren die Bitte.«
»Vater Carissimi. Vater Carissimi.«
Sandro hörte, als er aus dem Collegium kam und auf die Straße trat, Miguel Rodrigues nach ihm rufen, doch sah er ihn nicht. Die Sonne blendete. Hoch am Himmel stehend, warf sie ihr erbarmungsloses Licht gegen die Hauswände.
»Hier, Vater Carissimi.«
Er entdeckte Rodrigues in der Kapellenpforte, die sich wie eine schwarze Höhle inmitten des Lichts auftat.
»Darf ich Euch belästigen, Vater Carissimi?«
Wenn einer schon so fragte! Sandro hatte kein Bedürfnis, belästigt zu werden. Andererseits war er bei seiner letzten Begegnung mit dem jungen Rodrigues derart beleidigend geworden, dass er etwas gutzumachen hatte.
Er ging einen Schritt auf ihn zu. »Natürlich, Bruder, was gibt es?«
»Es wird nicht lange dauern. Wenn Ihr in Eile seid, begleite ich Euch ein Stück.«
Da Sandro vorhatte, das ominöse Haus aufzusuchen, empfahl sich Rodrigues’ Begleitung nicht.
»Ich bin keineswegs in Eile. Gehen wir doch in die Kapelle.«
Sie tauchten gemeinsam in die Kühle und das Dämmerlicht des Gotteshauses ein, wo sie, langsam und ziellos nebeneinander herschreitend, ein zähes und zielloses Gespräch begannen. Zunächst tauschten sie Entschuldigungen wegen des missratenen Gesprächs von neulich aus. Dann schwieg Rodrigues, sodass ihr Zusammensein einer geistlichen Übung im Schweigen glich und Sandro verstand, dass man es als Floskel zu verstehen hatte, wenn Rodrigues sagte, es werde nicht lange dauern.
»Wie war Euer Verhältnis zu Bruder Luis, bevor es zum Zerwürfnis kam?«, fragte Rodrigues so schnell, als habe er die ganze Zeit nach einer passenden Formulierung gesucht.
»Sachlich und gut«, antwortete Sandro. Während der folgenden Stille blickte er den jungen Portugiesen an, wenn auch nur aus den Augenwinkeln, um ihn nicht noch mehr zu verunsichern. Würde das ein Gespräch über Luis werden? War Rodrigues dabei, Sandro etwas anzuvertrauen? Womöglich wurde die zähe Unterhaltung doch noch interessant.
»Was ich meine, Vater: Was habt Ihr damals über ihn gedacht?«
»Dass er sehr klug und ein erfolgreicher Mensch sei.«
Am leichten Nicken seines Gesprächspartners erkannte Sandro, dass es ihm genauso ging. Obschon sie wirklich bedächtig dahinschritten, hatten sie den Innenraum der Kapelle bereits einmal umrundet, als Rodrigues sich zur nächsten Frage durchrang.
»Hattet Ihr jemals Zweifel?«
»An Luis? Nein. Zumindest in den ersten Jahren nicht.«
»Und dann?«
»Dann bemerkte ich, dass er zahlreiche Kniffe anwandte, um etwas zu erreichen. Ich dachte jedoch, dass ein kluger Mensch wohl nicht anders konnte, als seine Klugheit einzusetzen. Erst als ich spürte, dass er sich über den Kniff mehr freute als über
das erreichte Ziel, dass er also das Mittel liebte und weniger den Zweck, wurde ich misstrauisch.«
»Weil die Mittel oft unheilig sind.«
»Wenn Ihr das sagt.«
Rodrigues erschrak. »Ich meinte nicht Bruder Luis’ Mittel, ich meinte die Mittel im Allgemeinen. Ich wollte damit nicht … Ihr wisst schon … nichts unterstellen … Bruder Luis nichts unterstellen … Es ging mir nur darum … Es war ja nur eine generelle Feststellung, dass Mittel höchst irdisch und Ziele substanzlos sind.«
Nachdem Rodrigues seinen Ausspruch so hingedreht hatte, dass er harmlos klang, kam er wieder zur
Weitere Kostenlose Bücher