Der Schwarze Papst
das Vertrauen und die Zuneigung. Seit dem Tod seiner geliebten Maddalena vor zwei Monaten hatte Julius keinen anderen Menschen mehr, dem er gute Gefühle entgegenbrachte, und er merkte, dass er daran litt und innerlich verdorrte wie eine Frucht an einem abgestorbenen Ast. Nur Sandro bereitete er gerne eine Freude, vielleicht, weil er in ihm jene Rechtschaffenheit sah, die ihm selbst abhandengekommen war. Er würde sich darum kümmern, dass ihm eine große Kirchenlaufbahn zuteil würde.
»Kommst du vom Collegium Germanicum?«
»Ja.«
»Ziemlich spät, muss ich sagen. Es sieht dem ach so weisen Ignatius von Loyola nicht ähnlich, seine Jesuiten erst zu nachtschlafender Zeit gehen zu lassen. Du bist mein Privatsekretär, nicht der seine.«
Julius hatte sich schärfer ausgedrückt, als er vorgehabt hatte, aber nun, da der Name des schwarzen Papstes - dieser Spitzname war eine Anmaßung, von der Julius glaubte, dass Ignatius von Loyola sie gerne hörte - wo also der Name des obersten Jesuiten schon mal im Raum stand, fand er Gefallen daran, noch ein wenig weiterzubohren.
»Warum wollte er dich unbedingt bei der Eröffnung dabeihaben?«
»Er hat mit mir sprechen wollen.«
»Eine Predigt, wie? Ich kann ihn hören, ohne dabei gewesen zu sein.« Julius zog eine Grimasse und sagte mit verstellter Stimme: »Der Vatikan ist nicht gut für dich, mein lieber Bruder Carissimi, du ziehst dich zu sehr aus unserer Gemeinschaft zurück, du wandelst auf gefährlichen Pfaden. Liege ich richtig?«
»Ihr seid nahe dran.«
»Ich kenne ihn. Einerseits schwört er dem Papsttum ewige Treue und Gehorsam, und andererseits möchte er sich am liebsten einen eigenen Papst backen. Hat er dir damit gedroht, dich aus dem Orden zu werfen?«
»Nein.«
»Soll er doch. Ich mache dich noch am selben Tag zum Dominikaner oder Franziskaner oder was immer du willst.«
»Ich kann nur Jesuit sein und sonst gar nichts, Eure Heiligkeit. Die Philosophie von Barmherzigkeit und Bildung ist für mich …«
»Ja, ich weiß, ich weiß«, unterbrach Julius ihn ungeduldig. Er musterte seinen Schützling über die brennende Kerze hinweg.
Manchmal fragte er sich, ob Sandro nicht insgeheim hoffte, sein General entließe ihn aus dem Orden. Als Julius Sandro vor neun Monaten in Trient kennengelernt hatte, hatte dieser den Wunsch geäußert, den Orden und sein geistliches Dasein zu verlassen. Julius hatte das abgelehnt, weil das Geheimnis von Trient, das Sandro enthüllt hatte, zu groß und gefährlich war, als dass man jemanden damit in die Freiheit entlassen durfte, und weil Julius geahnt hatte, dass er die Fähigkeiten des jungen Mannes noch einmal würde brauchen können. Aber hatte Sandro sich damit arrangiert, weiterhin Geistlicher bleiben zu müssen, noch dazu im Intrigenpfuhl des Vatikans? Sandro hüllte sich gerne in Schweigen, vor allem, wenn es um ihn selbst ging.
War es denkbar, dass er Julius’ Tod erwartete, damit der Nachfolger im Pontifikat ihn freiließe?
Dieser Gedanke schreckte ihn auf. »Oh«, stöhnte er.
»Fehlt Euch etwas, Eure Heiligkeit?«
»Nein, schon gut, nur ein Zwicken.«
Julius dachte an Sandros unglückliche Liebe zu einer Glasmalerin. Sandro sprach nie darüber, aber Julius hatte auch so genug mitbekommen, um zu wissen, dass dort etwas im Argen lag. Natürlich sehnte Sandro sich nach einem weltlichen Leben, wenn er darin die Chance sah, diese Frau für sich zu gewinnen. Doch was wäre, wenn Julius’ unsichtbare Zauberhand die beiden zusammenbrächte? Dann würden Liebe und Kirchenkarriere sich für Sandro nicht ausschließen.
Abgemacht, sagte Julius im Stillen zu sich selbst.
Sandro räusperte sich. »Ich bin zu so später Stunde gekommen, Eure Heiligkeit, weil im Collegium Germanicum ein Verbrechen begangen wurde.«
»O nein, sag nicht …«
»Doch, Mord.«
Julius schloss die Augen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ausgerechnet jetzt!
»Wer?«
»Ein Schüler, Eure Heiligkeit.«
»Wie ist sein Name?«
Sandro schien sich kurz zu wundern, weshalb der Papst sich nach dem Namen irgendeines Schulbuben erkundigte.
»Johannes von Donaustauf. Ihr kanntet ihn?«
»Mach dich nicht lächerlich. Woher sollte ich ihn kennen? Wie ist das geschehen?«
»Gift. Euer Leibarzt hat es bestätigt. Der junge Mann starb vor meinen Augen.«
»Eine schlimme Sache. Wird Loyola nicht gefallen.«
»Wem könnte so etwas gefallen - außer dem Mörder?«
»Leg nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage, Sandro. Nicht, wenn ich ein
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