Der Schwarze Papst
über den Akt ihrer Erzeugung gehalten hatten. Als Abfallprodukt einer Dienstleistung war ihr Zerfall vorhersehbar und erwünscht.
Milo hatte Glück gehabt. Hatte er Glück gehabt? Man sagte das so leichthin, aber nicht durch Glück hatte er überlebt, sondern weil er gelernt hatte zu hassen. Die Kränkungen und die Abscheu beantwortete er mit einem Hass, den er tief in seinem Innern hegte und pflegte und den er zu ansehnlicher Größe heranzog. Wie einen Krüppel, den man im Haus versteckt, offenbarte er ihn nicht, sodass die Welt nie von ihm erfuhr, obwohl er äußerst lebendig war und dafür sorgte, dass Milo nicht vereinsamte. Er überstand drei schlimme Fiebererkrankungen mit dreizehn, vierzehn und sechzehn Jahren. Der Hass gab ihm Kraft, Überlebenskraft.
So etwas war kein Glück, es war hart erarbeitet.
Massas Beleidigung führte nicht dazu, dass Milo ihn besonders hasste. Dieser ehrgeizige, hinterhältige und feige Geistliche war ihm nahezu gleichgültig. Er würde seinen Auftrag ausführen, das hatte er ohnehin vorgehabt, und er würde Sandros Tod - wie von Massa gewünscht - wie einen Unfall aussehen lassen, damit der Papst nicht seinen Kammerherrn der Tat verdächtigen konnte. Nein, der Hass bezog sich niemals auf eine einzige Person, er war allgemeiner Natur und verteilte sich wie Gestank auf alles und jeden in seiner Nähe.
Ein einziger Mensch war davon ausgenommen.
Als er tief in der Nacht in sein Zimmer im Teatro zurückkehrte, fand er dort Antonia vor. Sie schlief reglos in seinem Bett. Vom Mondlicht angestrahlt, leuchtete ihr Gesicht in der Finsternis. Er ging langsam durch das Zimmer, so leise, als würde er schweben, und betrachtete sie von allen Seiten. Sie gab ihm Frieden. Sie zu hassen war unvorstellbar. Die Liebe zu ihr hatte ihn damals wirklich überrascht, denn er hatte nicht geglaubt, dass er je Liebe empfinden würde. Seither entdeckte er Seiten an sich, die er nicht kannte, gleichsam blühende Inseln in einem eisengrauen Meer. Die Zärtlichkeit trat in sein Leben, der Wunsch, glücklich zu machen, das Verlangen nach Zukunft. Das war Antonias Werk, das Werk der wachen, klugen, lachenden und sanft schlafenden Frau, der Künstlerin, die aus einer anderen Zeit zu stammen schien, so anders war sie, so erfrischend. Ihre Frivolität hatte nichts Obszönes, ihre Schönheit war unaufdringlich heiter. Was sie sagte und tat, schien aus ihrem tiefsten Innern zu kommen, jede Oberflächlichkeit war ihr fremd. Er hatte es ihr noch nicht gesagt, aber ihre Glasfenster versetzten ihn in eine ungewohnte Stimmung: Ergriffenheit - auch eine blühende Insel, die er neu an sich entdeckte.
Nun saß er dicht bei ihr. Antonias Kopf berührte fast seinen Schoß. Er sah sie lange an, und er wünschte sich, dieser Augenblick möge nie enden, wünschte sich, er und sie wären Figuren eines Gemäldes, denn dann dürfte er sie für immer anschauen. Er bräuchte nicht die Welt zu sehen. Es gäbe nur sie und ihn und dieses Zimmer, das in das Licht der blauen Nacht getaucht war.
Giovanna wäre beinahe an dem Haus, in dem sie wohnte, vorbeigegangen. Es sah aus wie jedes andere, ohne Gesicht und Charakter und in der Nacht nichts weiter als eine Felswand zwischen anderen. Als sie nun davorstand, war sie fast zu müde, um den Hof zu betreten. Sie lief seit Stunden durch die
Stadt, hatte Tausende von Schritten getan. Jetzt sehnte sie sich nach ihrem Bett, nach Schlaf, nach Vergessen, doch gleichzeitig wehrte sich etwas in ihr dagegen, diesen Tag abzuschließen.
Deswegen war sie vorhin, nachdem sie das Collegium verlassen hatte, nicht sofort hierhergegangen, sondern war dem Impuls gefolgt, ihre beiden seit langem toten Kinder zu besuchen. Sie lagen allerdings außerhalb der Stadtmauer, weit hinter dem Esquilinischen Hügel, was einen beschwerlichen Weg bedeutete. Giovanna hatte ihn auf sich genommen. Normalerweise gönnte sie sich keine Sentimentalitäten, denn die Arbeit, die täglich getan werden musste, hielt sie davon ab. Doch durch den Tod und die Tränen des Abends hatte sie sich nach den verstorbenen Liebsten gesehnt.
Mit der Stadtwache an der Porta San Lorenzo hatte es Ärger gegeben, weil es schon Nacht war, aber da in Rom nichts so genau genommen wird, durfte Giovanna passieren. Nach einem weiten Weg war sie bei Dunkelheit über den Friedhof gegangen und hatte sich zweimal auf die warme Erde gesetzt, zu jedem der beiden Kinder. Die Söhne lagen in Armengräbern, Massengräbern, und es tat Giovanna noch
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