Der Schwarze Papst
Wahrheit!«
»Du bist mir noch einen Mord schuldig.«
Laurenzio Massa wartete an ihrem üblichen Treffpunkt auf ihn, auf dem Palatinischen Hügel inmitten von Ruinen und Gestrüpp. Weiter vorn standen die Halbwüchsigen und jungen
Männer, um sich älteren Männern anzubieten, aber bis hier hinten kamen sie nie, und selbst wenn - Milo und Massa waren ein junger und ein reifer Mann. Niemand würde auf die Idee kommen, dass der Kammerherr des Papstes und ein »Todesengel«, ein Auftragsmörder in vatikanischen Diensten, hier ihre Besprechungen abhielten.
»Ihr wisst sehr gut«, antwortete Milo, »dass ich bisher keine Gelegenheit hatte, Carissimi für Euch umzubringen. Er hat in den letzten Wochen den Vatikan so gut wie nie verlassen.«
»Der Papst hat ihn dummerweise mit Arbeit überhäuft, damit er keine Zeit für andere Dinge hat.«
»Heute hatte er sie. Er befragte eine Greisin, die den Mord an Carlotta von ihrem Fenster aus beobachtet hat. Und das Beste daran ist: Ich war dabei.«
Milo lachte, aber Massa hatte keinen Humor. Er fragte: »Hat sie dich erkannt?«
»Nein. Sie war damals viel zu weit weg. Macht Euch keine Sorgen.«
»Nicht du sagst mir, was ich machen soll, sondern umgekehrt. Du hast einen bezahlten Auftrag von mir bekommen. Erfülle ihn.«
»Ich habe schon eine Idee, wie ich …«
»Kleinigkeiten interessieren mich nicht. Ich will ein Ergebnis, und zwar bald. Morgen.«
Milo ließ sich durch Massas Gereiztheit nicht aus der Ruhe bringen. »Was kann denn schon passieren?«, sagte er. »Angenommen, Carissimi käme in die Nähe der Wahrheit. Glaubt Ihr wirklich, der Papst würde noch länger zu ihm halten? Ich weiß, wie die Edlen und Mächtigen denken, schließlich erlebe ich sie jeden Tag im Hurenhaus meiner Mutter. Jeder Einzelne von ihnen ist sich selbst der Nächste. Sie würden ihre eigenen Söhne einkerkern, wenn die es wagen sollten, gegen sie zu arbeiten. Julius würde Carissimi fallenlassen - und zwar sehr tief. Und
damit würde sich Euer Problem, dass Ihr fürchtet, er könnte irgendwann Euren Platz als Kammerherr einnehmen, ganz von selbst lösen.«
Massa machte einen Schritt auf ihn zu. »Nun hör mir mal gut zu. Du magst exzellent darin sein, Leuten die Gurgel durchzuschneiden, und wahrscheinlich bist du auch exzellent darin, Glasmalerinnen zu besteigen. Aber fang gar nicht erst an zu denken, denn das ist nicht dein Metier. Ist auch nicht schlimm. Nirgendwo steht geschrieben, dass Todesengel intelligent sein müssen. Sie sind unbarmherzig und führen Befehle aus, und genau das erwarte ich von dir. Töte Carissimi. Soll ich es noch einmal für dich wiederholen, falls du etwas nicht verstanden hast? Es kann ja vorkommen, dass man sich zwei Worte nicht merken kann. Töte - Carissimi.«
Milo war unempfindlich gegen Beleidigungen, eine Folge seiner Kindheit. Als Hurensohn wurde er täglich gekränkt, meist von Gleichaltrigen, aber auch von deren Eltern und Großeltern, die ihren Sprösslingen den Umgang mit »so einem« verboten, ihn wegstießen, wenn er ihnen im Weg stand, und Worte für ihn fanden, die er zwar nicht kannte, deren innewohnende Abscheu er jedoch spürte. Im besten Fall wurde ihm Mitleid entgegengebracht: »Lass ihn, der Junge kann doch nichts dafür.« So oder so, er war ein Paria, ein Gemiedener. Lange Zeit hatte er sich vor der nächsten Beleidigung, dem nächsten Mitleid gefürchtet wie vor einem Schlag, von dem man weiß, dass er wehtun wird. Und er tat weh, jedes Mal, jeden Tag. Der Schmerz und die Angst davor wurden zu vertrauten Begleitern, und je mehr Zeit verging, umso schwerer waren diese beiden Begleiter auseinanderzuhalten, ja, sie wuchsen zusammen und wurden eins. Es bedurfte keiner konkreten Kränkung mehr, um den Schmerz auszulösen, er war immer da, so als atmete er ihn durch die Luft ein. Den wenigen Freunden, die er hatte - allesamt Söhne anderer Huren -, erging es nicht anders.
Und er sah sie sterben, einen nach dem anderen. Man sagte, sie starben an Krankheiten: Sie bekamen Pocken, Sumpffieber, sie schissen sich zu Tode, spuckten Blut … Doch er glaubte nicht, dass sie daran starben. Eigentlich, so dachte er, starben sie nicht, sondern sie gingen zugrunde, und das war etwas völlig anderes. Zugrunde gehen, zerfallen, vergehen. Sie vergingen, weil sie erfuhren, dass diese Welt sie nicht wollte und nicht brauchte, dass auch ihre Mütter sie nicht gewollt hatten, dass weder Gott noch die Liebe noch die wahre Leidenschaft ihre segnende Hand
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