Der Schwarze Papst
sich schließlich beide in Bewegung.
Wer in einem Jesuitengewand steckte, für den war jede Leiter eine Herkulesaufgabe und jede Plattform ein Seil, auf dem es zu balancieren galt. Man sah nicht, wohin man trat, und ständig blieb man irgendwo hängen. Sandro hatte erst ein Stockwerk des Gerüsts erklommen, als sie sich trafen.
»Du siehst aus, als hättest du stundenlang ein Kalb tragen müssen«, scherzte sie.
»Genauso fühle ich mich auch. Was beweist, dass Mönchen entgegen landläufiger Meinung der Aufstieg gen Himmel schwerer fällt als anderen Menschen.«
Sie klopfte ihm Staub von den Schultern, den er sich beim Hochklettern eingefangen hatte. Früher wäre sein erster Reflex gewesen, sich verstohlen umzublicken, ob niemand sie dabei beobachtete, doch heute blieb dieser Reflex aus. Er wusste, dass Antonia sich nichts dabei dachte, ihn zu berühren, überhaupt
Männer zu berühren. Der Streit, der sie und ihn vor zwei Monaten »entzweit« hatte - das Wort traf es nicht ganz, denn sie waren ja nie »zusammen« gewesen -, hatte sich daran entzündet, dass er sich jeder Annäherung entzogen hatte. Damals hatte er noch nicht gewusst, was er wollte. Auch wenn die Lage heute eine andere war und er sich nichts mehr wünschte, als Antonia ganz nahe zu wissen, wäre es ihm lieber gewesen, liebkost zu werden, wenn er dabei keine Kutte trug. Zärtlichkeit und Jesuitenrobe - das passte für ihn noch immer nicht zusammen.
Doch Antonia zuliebe - und seinem Ziel zuliebe, sie für sich zu gewinnen - ließ er sich nichts anmerken und brachte sogar ein Lächeln zustande, das sie offenbar für aufrichtig hielt.
»Du bist guter Laune«, sagte sie. »Dein hübsches Lächeln sieht man selten.«
»Ach, weißt du …« Das Lob machte ihn verlegen. »Es hat einen Mord gegeben, mit dessen Aufklärung ich beauftragt wurde.«
Sie sah ihn verwundert an, und da begriff er, was er gesagt hatte.
»Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt. Natürlich bin ich nicht guter Laune, weil jemand ermordet wurde. Ich genieße es nur, endlich mal wieder aus dem Vatikan herauszukommen.«
»Schaffst du das denn - zwei Morde?«
»Ich bin ja nicht allein. Da gibt es eine gewisse Glasmalerin …« Er zwinkerte ihr zu. Das letzte Mal, als sie ihm bei der Aufklärung eines Mordes helfen wollte, hatte er anfangs abweisend reagiert, was die Gräben zwischen ihnen noch vertieft hatte. »Hast du eine Zeichnung des Mannes anfertigen können?«
Sie nickte. »Ich habe sie zweimal kopiert. Heute werden drei Huren durch das Trastevere gehen und jedem, den sie sehen, die Zeichnung zeigen. Und morgen nehmen andere Huren
ihren Platz ein und übermorgen weitere. Wir werden ihn finden.«
Sie schwiegen eine Weile. Ging ihnen womöglich dasselbe durch den Kopf? Ihr heutiges Beisammensein ähnelte ihrer ersten Begegnung vor acht Monaten. Damals hatten sie auch in einem Kirchenschiff gestanden, eingetaucht in das durch Antonias Fenster gefilterte Morgenlicht, und hatten einander betrachtet. Vom ersten Moment an hatten sie sich zueinander hingezogen gefühlt und sich seither auf verschiedenste Weise beeinflusst. Zuneigung, Trotz und Eifersucht, Sehnsucht und Zerwürfnis, Rückzug und Angriff - wenn das nicht Liebe war.
»Ich muss mich wieder an die Arbeit machen«, sagte sie plötzlich. »Ich liege sowieso schon hinter dem Zeitplan zurück, und für heute Mittag habe ich Signora A versprochen, vorbeizukommen. Ein Schwatz unter Frauen. Deswegen muss ich jetzt leider …«
»Das verstehe ich.« Er wandte sich zum Gehen. »Aber versprich mir bitte, dass du, wenn es bei der Suche nach diesem Mann gefährlich werden sollte …« Er ließ die Bitte in der Mitte des Satzes ausklingen, um sich nicht überdeutlich aufzudrängen.
Sie schenkte ihm einen freundlichen Blick. »Keine Sorge. Milo ist ja auch noch da.«
Diesen Namen hatte Sandro heute Morgen erfolgreich verdrängt, und nun zerstörte er umso heftiger seinen Abschied von Antonia. Was auch immer geschähe, einer würde verletzt werden. Entweder er, weil er Antonia verlieren würde, oder Antonia, weil sie Milo verlöre.
Forlis Kommandantur auf dem Aventino lag eingebettet zwischen duftenden Pinien, bot einen herrlichen Blick auf Tiber, Vatikan und Gianicolo und den Genuss einer lauen Westbrise, die die baldige Mittagshitze erträglicher machen würde. Dieser
neue Arbeitsplatz war, wie Sandro fand, kein Vergleich zu dem düsteren Gefängnis, das Forli noch bis vor zwei Monaten befehligt und in dem er ein
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