Der Schwarze Papst
Schwelle ihres Todes die Vergebung ins Ohr, aber er selbst vergab sich nicht, dass er beinahe seinen Halbbruder getötet und die Liebe der Mutter verloren hatte. Im Hospital tat er Gutes, tat das Richtige. Trotzdem, das wusste er heute, war der Eintritt in den Orden eine Flucht gewesen, ein weiteres Davonstehlen vor der Verantwortung. Seine Mutter hatte dies verlangt, und er hatte es getan, teils aus Ergebenheit, teils aus Angst vor den Konsequenzen seiner Bluttat. Die Einordnung in das Gefüge des Ordens war auch nicht dazu angetan, seinen Willen zu stärken, und der Dienst an den Hilflosen gab ihm keinen Mut. Er war zufrieden, weil er etwas Gutes und Nützliches tat, genauso wie er als verwöhnter Kaufmannssohn zufrieden gewesen war, nichts zu tun. Was fehlte, war das Feuer, das so viele Namen hatte: Liebe, Begabung, Ziel, Überzeugung, Erfolg, Sieg …
Luis de Soto, der große jesuitische Rhetoriker, war so ein begabter, siegreicher, von sich selbst überzeugter Mann. Deswegen hatte Sandro ihn jahrelang verehrt, ihm assistiert …
Der junge Rodrigues war Sandros Nachfolger. Nicht nur Nachfolger in der Funktion für Luis de Soto, Nachfolger auch im Irrtum, in der Verblendung, in der Dummheit.
Dieser Vormittag - das fiel ihm wie Schuppen von den Augen - war eine Reise zurück durch sein Leben gewesen. Miguel Rodrigues und Gisbert von Donaustauf: Beide jungen Männer verkörperten gleichsam Abschnitte von Sandros Vergangenheit. Ähnelte Gisbert dem oberflächlichen und zur Gewalt fähigen Prahler, so stellte Miguel die Analogie zu dem naiven und unsicheren Jungmönch Sandro dar, der Halt und Anerkennung bei einem falschen Idol, bei Luis de Soto, suchte.
Dem Prahler in sich hatte Sandro mittlerweile verziehen: Er hatte seine Arroganz und seine Bluttat mit der Arbeit in den Hospitälern des Ordens gesühnt. Dem Dummkopf zu verzeihen war wesentlich schwieriger, schon deshalb, weil er - im Gegensatz zum Prahler - aus bestem Glauben heraus gehandelt hatte, aus Begeisterung und ehrlicher Bewunderung. Das Gute in ihm hatte sich jahrelang an der Nase herumführen lassen. Und das machte ihn wütend.
Er hatte vorhin nicht Miguel Rodrigues beschimpft, er hatte Sandro Carissimi beschimpft, und der Zorn galt nicht dem jungen Portugiesen, sondern sich selbst. Miguel war nur das Spiegelbild, das er anschrie.
»Mein Gott«, flüsterte er, und es tat ihm leid, wie er Miguel behandelt hatte.
Ignatius von Loyola, der lange geschwiegen hatte, als bereite er sich auf eine ungeheure Aufgabe vor, griff Sandros Wort auf.
»Darf ich das so verstehen, dass du deinen Fehler einsiehst, Bruder Carissimi?«
Wovon sprach der Pater General? War Miguel zu ihm gegangen?
»Ich - bin nicht sicher, worüber Ihr sprecht, ehrwürdiger Pater General.«
»Bruder Carissimi, ich bat darum, bei allen Befragungen dabei zu sein.«
»Oh, darum geht es.« Der Ehrwürdige hatte tatsächlich darum gebeten, es also befohlen.
»Verzeiht, Pater General, die Befragung hatte sich so ergeben.«
»Und jene von Bruder Rodrigues?«
»Eine zufällige Begegnung. Daraus entspann sich ein Gespräch.«
»Dir ist klar, dass du damit gegen die wichtigste Ordensregel verstoßen hast? Gehorsam ist nicht verhandelbar. Er ist
unbedingte Voraussetzung, um sich frei zu machen von den Zwängen eigenen Wollens. Eine unfreie Seele vermag nicht, zu atmen.« Ignatius von Loyola sprach, wie meist, mit einer Sanftheit, die leicht über seine Strenge hinwegtäuschte. Im Ton verbindlich, ja, freundlich, blieb er in der Sache stets fest, und heute hatte er Sandros Tätigkeit im Collegium zu seiner Sache gemacht.
»Nicht ich bin das Problem, ehrwürdiger Pater General. Unter Eurem Dach, unter unser aller Ordensdach, schläft womöglich ein Mörder.«
»Bruder Birnbaum hast du ebenfalls befragt.«
Ignatius war gut unterrichtet, und er war ganz und gar gefangen davon, den Ungehorsam Sandros aufzuspüren und zu stellen, als handele es sich um eine Schlange, die sich ins Collegium geschlichen hatte.
»Bruder Birnbaum«, erklärte Sandro, »wies mich auf die Möglichkeit hin, dass vielleicht doch kein Mörder unter uns ist, weil jemand ins Haus eingedrungen sein könnte.«
»Drei Befragungen, und keine davon in meiner Anwesenheit. Keine, die du mir angekündigt hast oder die ich gestattet habe.«
»Keine, die Aufschub geduldet hätte«, entgegnete Sandro. »Ihr habt mir lediglich einen Tag zugestanden, in denen die Schüler und Mitbrüder das Haus nicht verlassen dürfen. Ein Tag
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