Der Schwarze Papst
ist nicht viel Zeit, weniger als Jesus Christus sich für die Auferstehung nahm.«
»Deine leicht ironische Wortwahl, Bruder, bestätigt all meine Befürchtungen: Du stehst unter schlechtem Einfluss und bist zu schwach, ihm zu widerstehen. Die Ironie würde noch hinzunehmen sein, wenn dein Ungehorsam nicht wäre. Du sagst, nicht du seist das Problem. Doch genau das ist der Fall. Für den Bestand des Ordens, Bruder, ist der Ungehorsam weitaus gefährlicher als ein Verbrechen.«
Gehorsam, Ungehorsam: Wie oft waren Sandro in den Jahren des Noviziats und vor der Priesterweihe diese Worte begegnet. Von der ersten Stunde des Ordens an bildeten sie den Angelpunkt in Loyolas Philosophie. Die beiden Begriffe verkörperten für ihn das Zentrum jeder inneren menschlichen Auseinandersetzung, sie waren Himmel und Hölle im Herzen, waren Maßstab für die Gemütslage der Seele. Der Gehorsame galt als stark, wobei der Gehorsam nicht heuchlerisch sein durfte. Man sollte gerne gehorsam sein: »Immer mit einem Fuß in der Luft bereitstehend«, so lautete ein im wahrsten Sinn geflügeltes Wort des Pater General. Der Ungehorsame war seelisch unfrei.
»Ich möchte offen sprechen«, sagte Sandro. »Eure Anwesenheit bei den Befragungen wäre nachteilig gewesen. Als Visitator hat man ohnehin damit zu tun, die Befragten zum Reden zu bringen, denn auch jene, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, überlegen sich alles dreimal, bevor sie es aussprechen. Eure Anwesenheit würde die Schüler und Mitbrüder zusätzlich hemmen. Das hätte etwas von einem - einem Tribunal.«
Ignatius von Loyola verharrte reglos auf dem Stuhl, eine Statue, gemeißelt aus Prinzip und Dogma. Nicht verbissen, nein, aber felsenfest. Ein Petrus.
»Du verstehst nicht, Bruder, was ich sage, was das Wesen der geistigen Gemeinschaft unserer Gesellschaft Jesu ist. Mag sein, du hast es nie verstanden. Wahrscheinlicher ist, dass dir das Wissen abhandenkam. Unentwegt versuchst du, mich auf die Ebene der Argumentation hinabzuziehen.«
Schon dieses Wort hinab ziehen ärgerte Sandro. Als seien Argumente glitschige Stufen am Rande des Höllenkessels. »Ich erläutere lediglich«, entgegnete Sandro, »was passiert wäre, wenn ich Eure Teilnahme an den Befragungen zugelassen hätte.« Sandro merkte, dass der Satz unglücklich formuliert war, aber er gab tatsächlich seine Meinung wieder.
»Es steht dir nicht zu, eine Entscheidung darüber zu fällen, was von Vorteil oder Nachteil wäre.«
»Als Visitator ist es sogar meine Pflicht, alle Schritte zu unternehmen, um die Untersuchung zu einem erfolgreichen Ende zu führen.«
»Siehst du, Bruder, genau dort liegt das Missverständnis. In erster Linie bist du nicht Visitator und päpstlicher Sekretär, vorrangig bist du auch nicht ein Mann, ein Italiener, ein Carissimi oder was sonst noch. Du bist vor allem Jesuit, Teil der Bruderschaft der Societas Jesu. Und als solcher erfüllst du die Bitten deiner Vorgesetzten. Diese grundlegende Lektion, die jeder Novize in der ersten Woche lernt, ist dir abhandengekommen.«
»Ehrwürdiger Pater General. Wenn Ihr meine Argumente in Ruhe prüft, werdet Ihr feststellen, dass sie fundiert und nicht von der Hand zu weisen sind.«
»Das ist ohne Belang.«
»Ohne …« Sandro konnte kaum glauben, was er da hörte. »Wir haben es mit einem Mörder zu tun.«
»Ja. Und wir haben es mit einem selbstherrlichen Bruder zu tun, der sich verstockt jedweder Belehrung entzieht. Ich muss sagen, dass ich zunächst nicht glauben wollte, was Bruder de Soto mir schon vor einigen Tagen über dich berichtet hat. Und auch, als er mir vorhin hinterbrachte, dass du ohne meine Anwesenheit Verhöre durchführst, sagte ich mir, du habest vielleicht nur ein oder zwei belanglose Fragen gestellt. Ich bin Bruder de Soto sehr dankbar, denn nun kann ich handeln, bevor größerer Schaden entsteht.«
Luis, dachte Sandro. Wieder einmal Luis. Ein Karrierist. Ein Intrigant. Es war doch ein Hohn, dass man ihn, Sandro, als selbstherrlich bezeichnete, während Luis sich in Trient wie ein Inquisitor gebärdet und Unschuldige gefoltert hatte. Wenn Sandro nur reden dürfte, wenn er dem Pater General erzählen
dürfte, was in Trient geschehen war. Aber der Papst hatte ihn zu immerwährendem Schweigen verurteilt - und ihn letzte Nacht erneut gemahnt, die Person von Luis nicht anzutasten.
Selbstherrlich! Er und selbstherrlich! Hatte Sandro je mit seinen Erfolgen geprahlt? Hatte er seine Stellung als Sekretär und Visitator
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