Der Schwarze Papst
an Sandro. »Geht bitte zu Bruder Birnbaum und sagt ihm, was geschehen ist. Er weiß dann schon, was er zu tun hat. Ach ja, Bruder Carissimi, noch etwas.« Duré sah ihn einen kurzen Moment intensiv an. »Der Pater General benötigt jetzt absolute Ruhe. Sein Zustand ist noch immer ernst.«
Sandro nickte betroffen. Die Spitze galt natürlich ihm. Sicher war es dem Leibarzt und Vertrauten Loyolas nicht verborgen geblieben, dass Sandro dem General Sorgen machte. Außerdem war der Zusammenbruch während eines Gesprächs mit ihm erfolgt. Was Duré sagen wollte, war: Bleibt ihm fern, Ihr seid schlecht für ihn.
Keiner mag es, so etwas gesagt zu bekommen, aber der Arzt hatte recht. Sandro hatte einem Mann, dem seit Jahrzehnten niemand im Orden wiedersprach, den sogar die Päpste mit Samthandschuhen anfassten, Widerstand geleistet, mehr noch, er hatte ihn in seiner Macht und Handlungsfreiheit beschnitten. Nie wäre er darauf gekommen, dass er Loyola damit in eine lebensbedrohliche Lage brachte, einen Geistlichen, der die Ruhe selbst war und der für seinen Gleichmut gerühmt wurde. Und doch war es geschehen.
Er überbrachte Birnbaum, was der Arzt ihm aufgetragen hatte. Birnbaum war im Bilde und entschwand in die Küche;
offenbar wusste der deutsche Schulkoch etwas, das anderen entgangen war. Oder nur Sandro entgangen war? War nicht offensichtlich, dass jemand, der ständig von einem doctor medicinae und magister regentes begleitet wurde, nicht gesund sein konnte?
Nur keine Selbstvorwürfe, dachte Sandro, als er langsam die Treppe ins Obergeschoss hinaufging. Nicht er hatte das Gespräch gesucht, sondern Loyola. Nicht er hatte einen Streit vom Zaun gebrochen. Er war vielleicht ein wenig zu selbstgefällig geworden und hatte seine Überlegenheit demonstrieren wollen. Aber er hatte sich nur verteidigt.
Ohne nachzudenken, ging er in Durés Zimmer und setzte sich auf einen Schemel, wo er auf gute Nachricht wartete, dass Ignatius von Loyola sich erholt habe. Sandro betete dafür. Dieser Tod käme entschieden zu früh. Gewiss, für die Seele des Ignatius würde es keinen Unterschied machen, ob sie heute oder in zehn Jahren zum Himmel fahren würde. Aber für den Orden bräche eine schwere Zeit an. Wer könnte den Platz des großen Gründers einnehmen? Und wohin würde er den Orden führen? In zwölf Jahren hatten sich die Statuten noch nicht festigen können. Im Übrigen stand immer noch die endgültige Bestätigung des Ordens aus. Zwar hatten frühere Päpste den Orden genehmigt. Was jedoch fehlte, war eine päpstliche Gründungsbulle, deren Ausfertigung und Verkündigung auch Julius III. mit fadenscheinigen Ausreden verzögerte. Ausgerechnet diejenigen, denen die Jesuiten unbedingten Gehorsam gelobten, zierten sich, so als fürchteten sie, dass ein so großer Orden und eine so enge Bindung auch ein Verlust an Freiheit und Hoheit zur Folge hätte.
Alles gute Gründe, den Tod des verehrten Generals zu fürchten. Für Sandro kam noch ein weiterer, ein zugegeben egoistischer Grund hinzu: Wenn Ignatius heute stürbe, würde Sandro als die Schaufel gelten, die einen der größten Söhne der Heiligen
Römischen Kirche unter die Erde gebracht hat. Sein Name, Carissimi, wäre ein Kainsmal für den Rest seines Lebens.
Sandro betete an diesem Mittag im Zimmer des Arztes nicht nur für Ignatius, er betete auch für sich.
Eher zufällig streifte sein Blick Durés Schreibtisch, auf dem akademische Ordnung herrschte. In der Mitte und gut sichtbar lag ein Brief, der von Duré geschrieben und von Loyola unterzeichnet worden war. Daran wäre nichts Interessantes gewesen - Loyola diktierte täglich gewiss ein halbes Dutzend Briefe, und Duré war nicht nur der Arzt, sondern auch der Vertraute und Sekretär des Generals. Das Besondere an diesem Brief war der Adressat: »Geliebter Bruder Rodrigues«.
Der Name ließ aufmerken.
Kurz zögerte er, den Brief zu lesen. Seine Eltern hatten ihn einst Respekt vor den Briefen anderer Leute gelehrt, vor dem persönlichen Eigentum insgesamt, und auch die Jesuiten räumten dem privaten Freiraum der Mitbrüder große Bedeutung ein.
Doch dieser Respekt war nun einmal der größte Feind des Ermittlers, und da Geheimnisse die bedauerliche Eigenschaft hatten, sich nicht von allein zu lüften, musste er Erziehung und Ordenslehre beiseiteschieben.
Ungeniert trat Sandro näher und las. Der Brief galt nicht dem jungen Miguel, sondern dessen Onkel Simon, dem Provinzial von Coimbra. Allgemein gehaltene Hinweise
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