Der Schwarze Papst
wollte. Bruder Sandro.
»Angelo, hole Carissimi her, beeil dich. Lauf.«
Forli hatte sich noch nie so ohnmächtig gefühlt wie jetzt. Er hätte ihr gerne geholfen, es ihr leichter gemacht, irgendetwas getan. Aber dieser Körper war … verloren. Unrettbar verloren.
Nach und nach trafen die Jesuiten und Schüler an der Schwelle zur Küche ein: Königsteiner, Rodrigues, Ried, Gisbert von Donaustauf, Birnbaum. Keiner von ihnen setzte einen Fuß in die Küche. Das Grauen hielt sie auf Abstand.
»Das ist Giovanna«, sagte einer von ihnen, aber Forli hörte nicht, wer es sagte, weil sie in diesem Moment wieder Laute von sich gab.
»Johaes«, sagte sie. »Johaes.«
»Johannes?«, fragte er.
»Ni … geholf.«
»Nicht geholfen? Wer hat ihm nicht geholfen? Weißt du, wer ihn umgebracht hat?«
Versteinert blickten die fünf Männer jenseits der Schwelle auf dieses sprechende Bündel Tod, das nur noch mit letzter Kraft lebte.
Dann kam Carissimi. Er erschrak, als er sie sah. Wankte. Rang nach Luft, nach Fassung. Schloss die Augen, öffnete sie wieder. Sank zitternd zu Boden.
»Giovanna«, sagte er leise. »Mama Giovanna, ich bin da. Hörst du mich? Ich bin bei dir.«
Eine Weile verging, in der nur das Röcheln zu hören war, immer leiser, verglimmend.
»Was willst du, dass ich tue, Mama Giovanna? Sag es, und es wird getan.«
Der Arzt, Magister Duré, erschien hinter ihm, aber Forli bedeutete ihm, nichts zu unternehmen, und Duré nickte zustimmend. Giovannas Leben hing schon nicht mehr an einem seidenen Faden. Der Faden war längst gerissen, der Mensch im freien Fall.
»Mama Giovanna?«, fragte Sandro.
Die Todgeweihte stieß plötzlich ein Wort hervor, erschreckend in seiner Deutlichkeit, bedachte man, dass ein Mensch mit diesen Verbrennungen eigentlich gar nicht mehr hätte leben dürfen.
»Clelia«, sagte sie.
Stille.
»Clelia?«, fragte Carissimi. »Wer ist das?«
Stille.
»Mama Giovanna?«
Stille.
»Mama Giovanna?«
Stille.
Die Jesuiten bekreuzigten sich, falteten die Hände und begannen zu beten.
Carissimi tat nichts Dergleichen. Er schloss die Augen, und Tränen fielen auf Giovanna.
11
Grausame Sonne über Rom an einem gebleichten Himmel. Das Mosaik der Farben hatte sich aufgelöst. Wände, Blätter, der Fluss - alles verblichen, verwischt von der Helligkeit. In den Gassen, wo sogar der Löwenzahn an den Hauskanten vertrocknete, in den Brunnen, die Lachen aus geschmolzenem Licht geworden waren, in den noch offenen Gräbern, die die Toten
der Hitze bargen - überall war die Sonne. Nichts regte sich, noch nicht einmal die wenigen Schatten des Laubwerks. Es gab keinen Wind, keine Wolken, keinen Regen, es gab keine Bewegung. Man wünschte sich all das, doch den Menschen blieb nichts anderes übrig, als sich, wie immer, dem Unabänderlichen zu ergeben und irgendwo tief in diesem Meer aus glühendem Gestein für ein paar Stunden zu verschwinden.
Sie gingen zu dritt durch fast menschenleere Einöde, sehr langsam, irgendwohin, ohne Ziel, und rangen nach frischer Luft, die es nicht gab. Sandro, Forli, Angelo, keiner sagte etwas. Die Sprache schien abgeschafft. Am Tiber angekommen, lösten sich, kaum einen Steinwurf vor und hinter ihnen entfernt, die Konturen im Flimmern auf. Tausende Fliegen tanzten ihren letzten Tanz.
So nah am Tiber war die Luft unerträglich, war wie ein uringetränktes Tuch vor dem Gesicht, wie ein Knebel. Doch nicht nur das raubte Sandro den Atem. Der Gestank des Flusses, die Hitze, die Feuchtigkeit waren eine Sache, das Entsetzen eine andere. Das eine kam von außen, das andere entstand tief drin, im Kopf, wo die Bilder sich verhaftet hatten, und im Bauch, wo Übelkeit, Wut und Trauer herrschten. Nun verband sich alles zu einem betäubenden Gemisch. Jeder Schritt, den Sandro machte, kam ihm vor, als zöge ein Puppenspieler die Fäden. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, lief ihm die Arme hinunter, klebte das Gewand an seinem Rücken fest.
Sandro blieb stehen, die anderen taten es ihm nach. Er bemerkte, dass es ihnen schwerfiel, einander anzusehen, so als fürchteten sie sich vor dem Entsetzen in den Augen des anderen, die ein Spiegel des eigenen Entsetzens waren.
Dann brach es aus Sandro hervor. Er sagte zu Forli: »Durchsucht das Collegium. Jetzt gleich. Jedes Zimmer, jeden Winkel, auch die Kapelle. Nur das Zimmer des Ehrwürdigen nehmt Ihr aus. Alles, was auch nur annähernd verdächtig erscheint, wird
beschlagnahmt. Seht die Papiere durch, die Ihr findet. Scheut Euch
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