Der Schwarze Papst
Scheiben eindrang, und es gelang ihm auf Anhieb, die Tür zum Hof zu finden. Hastig stieß er sie auf.
Im Freien holte er tief Luft.
»Angelo?«
»Ja?«, schallte es von der Küchentür her.
»Kannst du irgendwo ein Feuer sehen?«
»Nein, kein Feuer.«
»In Ordnung, ich sehe auch keines. Wir warten noch einen Augenblick, bis der meiste Rauch abgezogen ist, dann gehen wir rein und sehen nach.«
Der entstandene Durchzug vertrieb rasch den Rauch. Die Rußteilchen deuteten darauf hin, dass kein angebranntes Essen den Qualm verursacht hatte, sondern etwas anderes.
Auf ein Zeichen Forlis hin betraten er und Angelo langsam die Küche. Obgleich sie in unterschiedlichen Ecken des großen Raumes umhergingen, konnten sie einander sehen und tauschten Blicke. Forli gab durch Handzeichen zu verstehen, dass er die linke Hälfte des Raumes nach der Quelle des Brandes untersuchen würde und Angelo solle die rechte Hälfte überprüfen.
Sie schlichen mehr, als dass sie gingen. Noch immer zogen feine Rauchschleier wie Nebelschwaden herum, filterten die
hereinströmenden Sonnenstrahlen und tauchten die Küche in ein diffuses Licht. Es war, als ginge man in der Morgendämmerung durch einen Moorwald. Ein seltsames Knistern unterstrich die gespenstische Stimmung.
»Hauptmann.«
»Ja, Angelo?«
»Hauptmann.«
»Was ist? Hast du etwas gefunden?«
Angelo antwortete nicht mehr. Er starrte zu Boden.
Von dort, wo Forli sich befand, konnte er nicht sehen, worauf Angelo starrte, denn ein Tisch und einige kleine Möbel in der Küchenmitte standen zwischen ihnen.
Forli ließ sich Zeit, um die Möbel herumzugehen. Das war nicht seine Art, er schritt sonst stets fest aus, vor allem, wenn es galt, einer Gefahr entgegenzutreten. Diesmal aber spürte er, dass er es mit etwas zu tun bekommen würde, das man nicht zu bekämpfen, sondern zu verkraften hatte. Er wusste, worauf er stoßen würde. Er wusste es, bevor er es sah. Und er wusste, dass er es nie wieder vergessen würde.
Zunächst rückte eine Lache in seinen Blickwinkel. Sie war gelblich und zähflüssig, und da sie sich in einer Küche befand, erinnerte sie ihn sofort an eine Soße.
Doch Angelo starrte auf etwas anderes.
Dann sah Forli es auch. Es war ein - er fand kein anderes Wort dafür - ein Klumpen, schwarz und unförmig, dem man aber ansah, dass er ein Mensch gewesen war. Der Körper war gekrümmt, zusammengezogen wie bei einem Schlafenden, die Kleidung war mit der Haut verschmolzen. Die obere Hälfte des Wesens war von der weißlichen Flüssigkeit bedeckt, von der unteren Hälfte stiegen feine Rauchfäden auf.
Er wandte sich abrupt ab, presste die Hand vor den Mund. In seinem mehr als vierzigjährigen Leben hatte er schon allerhand gesehen: von Krankheit entstellte Menschen, hingerichtete Menschen,
Gefallene, Ertrunkene, Verweste, Aufgeschlitzte … Doch dies hier war mit Abstand das Entsetzlichste, was seine Augen je erblickt hatten.
Langsam drehte er sich wieder um.
Unfassbar, dass Angelo immer noch reglos auf den Leichnam hinabsah.
»Junge, geh da weg«, sagte Forli. »Das ist nichts für dich. Geh weg, hörst du?« Forli erinnerte sich an das, was er vorhin zu Angelo gesagt hatte, kurz bevor sie die Küche betreten hatten. »Das ist jetzt nicht der Augenblick, mir etwas zu beweisen.«
»Nein, Hauptmann, nein«, krächzte Angelo mühsam. »Ich glaube, dass er - sie - dass es lebt.«
Forli schluckte. »Was - was redest du denn da für Unfug? Das ist doch - ist unmöglich.«
»Atemgeräusche.«
»Nein.«
»Da sind welche.«
»Ich sage dir …«
Ein Röcheln unterbrach ihn. Und dann so etwas wie ein Husten.
»O mein Gott.« Forli rief niemals Gott an, aber das kam aus seinem tiefsten Innern. »O Gott, nein. Nein. Nein!«
Durch das Wesen ging ein Ruck, dem ein Zucken Angelos und Forlis folgte.
»Sie will etwas sagen«, sagte Angelo.
»Sie?«
»Eine weibliche Stimme. Sie versucht, etwas zu sagen.«
Tatsächlich war ein schwaches Wispern zu hören, halbe Silben, mehr Hauch als Sprache.
Forli kniete sich neben sie, und an der Wärme, mit der sich seine Hose vollsog, merkte er, dass sein erster Eindruck vorhin richtig gewesen war. Ein umgestürzter Kessel, den er erst jetzt wahrnahm, bestätigte es. Sie war mit Soße übergossen.
Er beugte sich näher zu ihr. Sie hatte keine Lippen mehr, keine Augen, keine menschliche Kontur, und dass sie überhaupt noch sprechen konnte, war unvorstellbar.
»Ude … Ude Sado«, vernahm er, und er verstand sofort, was sie
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