Der Schwarze Papst
bitte, möchtest du Wein?« Sie hielt ihm ihren Becher hin, doch er lehnte mit einer kleinen Geste ab. Sie merkte, was vorging. Er hatte sie unbedingt sehen müssen. Deswegen war er gekommen. Weil er sie brauchte. Weil er Schutz suchte. So war es. Oder?
»Wo ist Milo?«, fragte er.
»Er jagt Ungeziefer.«
»Dann haben wir dieselbe Arbeit.«
»Sandro«, flüsterte sie und legte ihre Hand auf seine Stirn. »Was ist nur mit dir passiert?«
Er schwieg. Sie schwieg. Sie ließen einander nicht aus den Augen. Dann, sehr langsam, als sei es eine natürliche Bewegung, neigte er sich zu ihr vor und küsste sie.
Zuerst dachte sie: nein. Dann dachte sie: Warum jetzt, warum gerade jetzt? Und dann dachte sie gar nichts mehr.
Antonias Lippen zitterten. Ihre Hand zitterte, als sie sich auf Sandros Nacken legte und seinen Hinterkopf umfasste. Ihr Körper zitterte, als Sandros Hand ihn berührte. Alles ging so langsam vor sich und war zugleich so erregend, dass Antonia abwechselnd lächelte und wie unter Schmerzen das Gesicht verzog.
Es waren Schritte zu hören. Langsam lösten sich ihre Lippen voneinander, trennten sich ihre Körper, ohne zu wissen, ob sie jemals wieder zusammenkämen.
Signora A betrat den Hof. »So, hier kommt die Abkühlung.«
Julius schreckte schweißgebadet aus seinem Mittagsschlaf auf. Der Krähentraum. Hastig griff er nach dem bereitgestellten Krug, schenkte sich dunkelroten Wein ein, leerte den Kelch in einem Zug und wiederholte den Vorgang noch zweimal, ehe er
seufzend auf die Kissen zurücksank und sich die Tropfen vom Kinn wischte.
Dieses Gesicht … Es ging ihm nicht aus dem Sinn, das Gesicht des Mannes in der Kirche Santo Spirito . Milo. Auftragsmörder. Todesengel, wie Massa ihn nannte. Inbegriff einer gewaltigen Verirrung, eines Sündenfalls. Was für eine unmögliche, mit allen Grundsätzen des Glaubens unverträgliche Idee!
Er stand auf, benebelt vom Wein. Auf nüchternen Magen getrunken, rief er Schwindel hervor und eine Übelkeit, die nicht nur unangenehm war. Trinken war für Julius wie Weinen: Es machte alles leichter. Natürlich, er würde eines Tages daran sterben, am Weinen, am Wein, aber bis dahin würde er dem Trinken treu bleiben.
Mit beiden Händen hielt Julius den Kelch umklammert, während sein Blick vom Fenster seines Privatgemachs aus über die Dächer der Ewigen Stadt schweifte. In der Scheibe sah er den Umriss seiner selbst und trat einen Schritt näher. Da war er. Da war Julius III., Diener der Diener Christi. Aber war da nicht auch noch ein anderer? Er suchte nach ihm, suchte in den Augen seines Spiegelbilds nach Giovanni Maria del Monte, nach dem jungen Mann, dem Fünfzehnjährigen, dem der Vater und der Onkel eine Kirchenkarriere zudachten. Die Augen, so hieß es, waren der Spiegel der Seele, und Giovanni-Julius forschte in diesem Spiegel nach der Jugend, der Unschuld auch, der Leichtigkeit. Waren sie denn völlig verschwunden? Alles, was er sah, waren Augen wie Asche.
Wie hatte er jemals an diesen Punkt kommen können? Das Leben war für ihn zum Kalvarienberg geworden, zu einer unsagbaren Mühsal. Andere, die diesen Weg gingen - Schwerkranke, Arme, leidende Witwen und Witwer -, hatten wenigstens den Trost und die Gewissheit, bergauf zu gehen bis zum Himmelstor. Sein Weg der Mühsal führte nach unten. Wo befand er sich gerade, im siebten Kreis der Hölle oder im achten?
Im inneren Ring? Sein Register der Sünden war lang genug, um ihn damit erdrosseln zu können.
Ein Krähenschwarm flog am Fenster vorbei, so nah, dass Julius erschrocken zurückwich. Der Kelch entglitt ihm, und der Wein tränkte sein weißes Schlafhemd.
Eine Weile war er unfähig, sich zu bewegen, doch dann hob er als Erstes den Kelch auf, füllte ihn erneut, trank und sagte: »Krähen, überall Krähen. Damit muss Schluss sein.«
So konnte es nicht weitergehen. Sandro hatte recht, wenn er Julius drängte, den Schwachen zu helfen und auch denen, die für die Schwachen da waren.
Julius trank. Der Wein, so schien es ihm, spülte die Sehnsucht an die Oberfläche, jenen Teil von Giovanni zu tilgen, der zum Verbrecher geworden war, und den Drang, sich zu bestrafen und auch jene, die wie er gesündigt hatten.
Was ihn betraf, so würde er sich zur Buße auferlegen, Sandro die Wahrheit zu sagen, rücksichtslos, und nichts zu verschweigen. Sandro war sein Beichtvater, sein Freund, sein Favorit … Dennoch hatte Julius panische Angst vor diesem Geständnis. Es galt, den richtigen Zeitpunkt
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