Der Schwarze Papst
sollte, dann ist es lange her, und es ist nichts davon übrig geblieben.«
»Und das bei den vielen Liebhabern?« Er blickte kurz über seine Schulter und warf Antonia ein Lächeln zu als Zeichen, dass er das nicht als Vorwurf meinte.
Sie schnippte leicht mit dem Finger gegen die Wunde, sodass sie wieder schmerzte. »Sei nicht so frech und halt still, Amor. Du hast mich nach dem Glück gefragt, und ich habe dir geantwortet.« Es entstand eine Pause, dann fuhr sie in nachdenklichem Ton fort: »Zufrieden war ich oft, und manchmal habe ich geglaubt, das Glück in den Fingerspitzen zu fühlen, aber es war nie … nie …«
»Vollkommen?«
Ein Schweigen trat ein, aber keines der peinlichen Art, denn das Schweigen zwischen ihnen hatte nie etwas Peinliches gehabt. Oft hatten sie sich schweigend sogar besser verstanden.
Nach einer Weile sagte sie: »Die Wunde ist sauber. Sie sieht nicht mehr so schlimm aus, aber an deiner Stelle würde ich heute nicht mehr in den Krieg ziehen.« Sie wrang die Tücher aus. »Was soll ich mit dem Schmutzwasser machen?«
»Kipp es aus dem Fenster, so wie’s alle Römerinnen machen und dafür gehasst werden.«
Sein Blick folgte ihr zum Fenster, und als sie das Wasser auskippte, stand er auf und ging zu ihr. Da er mittlerweile barfuß war, war er sehr leise, aber sie schien seine Nähe bemerkt zu haben.
»So machst du das also«, murmelte sie. »Mich zum Fenster locken, wo Rom zu meinen Füßen liegt, und dort verführen.«
»Ja, das ist meine Methode«, antwortete er im Scherz. Aber der Blick hinaus, das musste er zugeben, war tatsächlich verführerisch: vom Mondlicht gepuderte Dächer, Phantome von Kirchen, die Rotunde der Engelsburg, am Horizont ein schwaches Wetterleuchten … Die Nacht machte Rom zu einer alpinen Landschaft und verstärkte so die verträumte Stimmung.
Antonia wandte sich ihm zu. Das Licht der drei Kerzen
drang durch den großen Raum kaum bis zu ihnen herüber, und doch sah Sandro das Glitzern in ihren Augen, die enorme Lebendigkeit und Erwartung, die Antonia wohl schon als Kind besessen hatte und die hoffentlich nie ein Ende haben würden. Bei keiner anderen Frau hatte er dergleichen je gesehen.
»Wie du mich anschaust«, sagte sie.
»Wie denn?«
»So hast du mich noch nie angesehen. Vielleicht andere Frauen. Früher … Vor der Zeit, als du Jesuit wurdest. Gab es viele?«
»Einige. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich sie so angesehen habe wie dich. Denn damals war ich dumm und ständig vernarrt.«
»Und heute?«
»Weniger dumm. Stattdessen voller …«
»Stattdessen voller …?«
Er wusste, auf welches Geständnis sie wartete. Dieses Wort auszusprechen, es ihr zu schenken und zu hoffen, dass sie es annähme, war der letzte Akt der Befreiung von den echten und falschen Zwängen, den Ausflüchten, die so unterschiedliche Namen trugen wie Zölibat und Milo und was sonst noch alles. Antonia war eine Frau, nicht die Todsünde. Sie war die Liebe. Seine Liebe.
Er sagte: »Ich habe dich vorhin gefragt, ob du jemals vollkommen glücklich warst. Und auf deine Weise hast du mir eben die gleiche Frage gestellt. Ich antworte dir: Ja, ich war schon einmal vollkommen glücklich. Ein einziges Mal. Heute. Im Hof des Teatro , als ich dich geküsst habe. Bis dahin war mein Tag - grauenvoll. Und zwar im wahrsten Wortsinn: voll von Grauen. Und dann war ich bei dir, und ich habe dich gesehen, und ich habe dich gespürt und war dir so nah wie noch nie, und als wir uns küssten, da fiel alles von mir ab, es gab keine Sorgen und keine Verbrechen und keine Widerstände,
keinen Milo, keine Kirche, keinen Ignatius und keinen Tod.«
Er machte eine Pause. »Es gab nur dich.«
Er machte wieder eine Pause. »Du füllst all die Räume in mir aus, die sonst vom Schlechten gefüllt würden, von der Einsamkeit zum Beispiel und von der Abscheu vor den menschlichen Abgründen. Wenn ich weitermache und nicht kaputtgehe, dann auch deinetwegen. Ich will für dich da sein, Antonia. Ich möchte so viel wie möglich von dem, was ich heute empfand, in die Zukunft mitnehmen. In unsere gemeinsame, wie immer sie auch genau aussehen wird.«
Kaum dass er ausgesprochen hatte, brandete eine große Welle des Glücks über ihn hinweg, da er endlich, endlich zu sich fand, zu einem neuen Sandro, einem Mann, der liebt.
Die Reaktion, die er erntete, beunruhigte ihn jedoch. Antonia wandte sich abrupt dem offenen Fenster zu - und weinte.
Er ließ seine Hände über ihren Schultern schweben,
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