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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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gebrauchen.«
    »Spielverderber.«
    Der Wermensch hielt inne und bedachte ihn mit einem rätselhaften Blick.
    »Ja«, brummte er. »Du hast dich wirklich verändert.«

    Die Droschke rumpelte über holpriges Kopfsteinpflaster unter schmiedeeisernen Eisenbahnbrücken hindurch und düstere Straßen entlang, die von riesigen Fabrikengesäumt waren. Jonathan starrte aus dem Fenster und war von der schieren Größe der Schattenwelt überwältigt. Straßen kreuzten sich, wanden sich umeinander und bildeten ein kompliziertes Netz. Pöbelnde Menschenmengen schienen sich an jeder Straßenecke zusammenzurotten. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Darkside so groß war. Es schien fast, als wäre es lebendig: ein schmutziger, kranker Organismus, der seine Lungen mit Rauch füllte.
    Schließlich bog die Droschke auf einen ruhigen Platz ein. Kleine Läden, die allen möglichen Krimskrams feilboten, dösten in der Nachmittagssonne. In der Mitte des Platzes spazierten wohlhabende Damen Arm in Arm in einem kleinen eingezäunten Park herum. Es herrschte eine ruhige, geradezu kultivierte Atmosphäre.
    »Es ist irgendwie anders hier«, bemerkte Jonathan.
    Carnegie verzog das Gesicht.
    »Das ist die ›Allee der Abgeschiedenheit‹. Sie liegt am äußeren Rand von Darkside. Einige dieser Leute sind ziemlich hochnäsig und tun so, als kämen sie aus einem anderen Teil der Stadt. Im Grunde ihres Herzens sind sie aber genauso wie der Rest von uns. Diebe und Mörder durch und durch.«
    Auf ein Zeichen von Carnegie hin hielt die Droschke zögerlich vor »Bauernfänger Karten und Globen« an. Jonathan sprang hinaus und betrachtete das Schaufenster, während Carnegie mit dem Fahrer feilschte. Eine alte, vergilbte Landkarte aus Pergamentpapier lag in der Auslage. Darauf war ein seltsames Land abgebildet,das Jonathan nie zuvor gesehen hatte. Die Ortsnamen und Richtungsangaben waren alle auf Spanisch. Als er den Wermenschen hinter sich herannahen hörte, deutete Jonathan auf die Karte.
    »Was ist das?«
    Carnegie starrte ihn verwirrt an.
    »Ich dachte, du würdest es erkennen. Hast du noch nie von Amerika gehört?«
    Jonathan blickte nochmals auf die unvertraute Landmasse. Die Karte musste Jahrhunderte alt sein. Es gab keinerlei Ähnlichkeit mit dem Kontinent, den er kannte. Er dachte kurz daran, etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen.
    Im Laden war es beengt und schmuddelig. Riesige Spinnweben breiteten sich zwischen altertümlichen Navigationsinstrumenten aus: Kompasse, Sextanten und sogar ein altes Steuerrad baumelten von der Decke. Die Globen drehten sich sanft im Luftzug und quietschen leise. Überall, wo Jonathan hinsah, hingen Karten von der Decke wie Bettlaken auf einer Wäscheleine. Er war überrascht zu sehen, dass die meisten von ihnen vorgaben, Länder und Kontinente aus Lightside darzustellen. Etwas weniger verwunderte ihn die Tatsache, dass keine der Abbildungen auch nur die geringste Ähnlichkeit mit der Realität besaß. Manche waren alte, ungenaue Skizzen, wohingegen andere – wie zum Beispiel ein sternförmiges China – völlig frei erfunden waren. Eine besonders kunstvolle und ungewöhnliche Karte stach Jonathan ins Auge: ein verschlungenes Labyrinth von schwarzen Strichen.Aufgeregt stellte er fest, dass er auf eine Karte von Darkside blickte.
    Eine alte Dame mit dunklem Haar saß hinter einem Tresen in der Ecke des Ladens und summte leise vor sich hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Wermenschen erblickte.
    »Elias! Wir haben uns so lange nicht gesehen, mein Lieber!«
    Ihre Stimme klang sanft, mit einem leichten ausländischen Akzent. Carnegie lüftete seinen Hut und verbeugte sich mit einer Eleganz, die Jonathan sprachlos machte.
    »Sehr zu meinem Bedauern, Carmen. Ich wurde durch gewisse Umstände aufgehalten. Genauer gesagt, durch diesen Jungen.«
    Carmen erhob sich von ihrem Stuhl und musterte Jonathan.
    »Seiner Kleidung nach zu urteilen, würde ich sagen, er ist nicht aus Darkside. Möchte das Kind in das andere London zurückkehren?«
    »Du hast wie immer recht, meine Liebe. Würdest du es ihm ermöglichen, deinen Keller aufzusuchen? Es handelt sich nur um eine Rückreise.«
    »Selbstverständlich. Es wird dich aber trotzdem zwei Schilling kosten.«
    »Zwei? Das ist aber eine ordentliche Preiserhöhung.«
    Carmen breitete bedauernd die Arme aus.
    »Dies sind schwierige Zeiten. Jedermann weiß, dass der Ripper krank ist. Veränderungen liegen in der Luft. Die Leute interessieren sich nicht

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